redaktion Tina Huynh-Le
fotos Kira Eilenna & Mit Dir Festival
Eine Welt erschaffen, die besser ist als die Realität. Ein guter Plan, umgesetzt vom beschaulichen Mit Dir Festival, umgeben von See, Wald und Wiese. Aber auch der beste Plan hat seine Lücken. Wir haben uns für die weniger glamourösen Momente interessiert, aber auch für die ganz besonderen Situationen, die alles wieder gerade rücken. Geschichten zum Verlieben, über Hundehaare und Traktoren.
Angenehm Ein Tag vor dem Festival vor zwei Jahren: Strömender Regen. Ein einsames Wohnmobil wackelt auf unser Gelände und stellt sich selbstbewusst auf unseren Zeltplatz. Ingo aus Nürnberg ist da – der erste Gast. Gut gelaunt und voller Tatendrang. Ob wir Hilfe brauchen, fragt er. Wir denken, er macht Witze. Natürlich brauchen wir Hilfe, es ist ein Tag vor Festivalbeginn, die Nerven liegen blank, Menschen rennen wie Ameisen quer über das ganze Gelände und gehen nicht nachvollziehbaren Arbeitsprozessen nach. Und dann ist da Ingo. Geschwungener Bart wie der eines Zirkusdompteurs. Ingo packt überall mit an und ist sich für nichts zu fein. Das Festival läuft, die Tage und Nächte ziehen über das Gelände, die Afterhour ist vorbei, alle Gäste sind weg. Nur ein einzelner Wohnwagen samt Gast ist da – Ingo. Ingo sagt, dass er nur fix seinen Wohnwagen in die alte Heimat zur Mutter in den Spreewald wegbringen und schnell duschen muss und dann wieder da wäre. Wir sind ihm jetzt schon dankbar, aber keiner glaubt die Story. Einen Tag später steht er da: Ingo, der Unzerstörbare. Und als wäre nichts gewesen, hilft er uns beim Abbau. Er legt auf, erzählt er uns, wir überprüfen das und es bestätigt sich. Ingo aka KOSH ist DJ und zwar kein schlechter. Die nächsten Jahre hilft er immer wieder und verzaubert uns mit seinen Sets. Der erste und der letzte Gast des Festivals, obwohl man inzwischen nicht mehr von einem Gast sprechen kann. Er ist Teil des ganzen Festivals. Ingo – ein Mann so entspannt wie sein Sound, aber hört selbst:
Unangenehm
Samstagmorgen, 04:30 Uhr: Leicht verwundert stellen wir fest, dass das Servicefahrzeug für die WCs anrückt. Die Wiese ist mit Morgentau überzogen und der Laster muss einen kleinen Hang überwinden. Wir ahnen, dass das zu einem Problem werden könnte, schließlich haben wir die Fahrzeuge aus genau diesem Grund zu 10:00 Uhr bestellt. Da die Reinigungsmaßnahme aber alternativlos ist und man um diese Uhrzeit nicht gerne mit unterzuckerten Truckern streitet, entschließen wir uns, den Hang mit Holzplanken und etwas Kies zu präparieren. So stehen wir, zwei völlig übernächtigte Veranstalter, also da und schauen dem 7,5 Tonnen-Koloss dabei zu, wie er die Hälfte des Hangs mit Bravour überwindet und sich dann dazu entscheidet, steckenzubleiben. Klasse, der Morgen beginnt traumhaft! Nach kurzem Brainstorming werden Unmengen an Schubkarren von der 700 Meter entfernten Kiesgrube herangeschafft. Gegen 06:30 Uhr sind wir völlig genervt und die Piste so vorbereitet, dass der Laster auch die restlichen Meter überwindet. Völlig fertig, aber zumindest besser gelaunt schauen wir eine Stunde später, ob die Arbeit getan ist. Sie ist es, aber der Spaß ist noch lange nicht vorbei. Bereits auf der Anhöhe kommt uns der LKW-Fahrer verzweifelt grinsend mit Schweißperlen auf der Stirn mit mir nicht bekannten Handzeichen wild gestikulierend entgegen. Es ist 07:30 Uhr, wir sind seit 34 Stunden wach und die Handzeichen bedeuten, dass der LKW mitsamt sehr unschönem Inhalt einen halben Meter im Schlamm steckt. Man kann sagen, die Glückseligkeit ist mir in diesem Moment quasi aus den Ohren geflossen. Was tun? Alles Ziehen und Schieben bleibt selbstverständlich komplett erfolglos. Die einzige Hoffnung: Das naheliegende Dorf. Also fangen wir an, inzwischen wie Hucklyberry Finn und Tom Sawyer aussehend und wahrscheinlich auch so riechend, die Beziehung zu unserer brandenburgischen Nachbarschaft zu pflegen. Die “beschissene” Lage ist schnell erklärt und direkt der erste Kandidat samt Traktor ist bereit, uns zu helfen. 10 Minuten später steckt auch dieser im Schlamm fest. Die ganze Geschichte nimmt langsam bermudadreieckartige Züge an. Publikum gibt es inzwischen auch, schließlich erwachen die ersten Gäste und dürfen sich das Spektakel live und in Farbe anschauen. Allein der Vernetzung und Hilfsbereitschaft unserer Nachbarn ist es zu verdanken, dass wir uns gegen 09:00 Uhr dank einem noch größeren Traktor aus der Misere befreien können. Glaubt mir Freunde, ich liebe unser Festival, aber das nächste Mal hätte ich gerne ein wenig Schlaf, bevor so etwas passiert.
Angenehm Montag, 11:00 Uhr: Ich habe 7 Stunden geschlafen und fühle mich dementsprechend fit. Von oben höre ich, wie die letzten Bässe fröhlich über das Gelände schallen. Nüchtern, gesättigt und frisch geduscht begebe ich mich nach unten, um zu schauen, wie es meinen Mitstreitern ergeht. Vor mir erstrecken sich biblische Szenen, Sodom und Gomorra, so weit das Auge reicht. Mein Kumpel Max steht nur mit enger Badehose, Adiletten, Fischerhut und Sonnenbrille bekleidet auf dem Dancefloor und malt mit Kreide ein riesiges Bild auf ebendiesen, irgendwie hat ein Kicker den Weg auf die Tanzfläche gefunden und drei Dutzend glasige Augenpaare schauen mich an, als wäre gerade ein Alien auf unserem Planeten und ausgerechnet hier in Brandenburg gelandet. Entfesselte Veranstalter liegen sich in den Armen, ein latenter Schnapsgeruch zieht über die Tanzfläche und die Liebe ist überall zu spüren. Alle sind froh, dass alles irgendwie geklappt hat. Ich werde quasi direkt mit den Überbleibseln aus der Bar abgefüllt und die versammelte Mannschaft entscheidet sich, die Kollegen zu unterstützen, die den Müllpfand organisieren. Von Unterstützung ist nach 10 Minuten nichts mehr viel zu spüren. Boxen werden aufgebaut, die restlichen Getränke werden zwischen Müllsäcken geleert und die nächste Party bahnt sich an. Zu den Klängen der besten Partyhits der 70er, 80er und 90er und unter dem Strahl des Wassersprengers tanzen entfesselte Gäste und Veranstalter, bis die letzten Shuttles abgefahren sind.
Unangenehm Mittwochabend: Der Großteil des Aufbaus ist erledigt, alle sind kaputt und bis Donnerstag 20:00 Uhr muss noch einiges erledigt werden. Alles machbar. Nur ein großes Problem zermartert uns die Hirne. Eine komplette LKW-Ladung muss noch in dieser Nacht von Berlin nach Klingemühle gebracht werden und unser eigentlicher Fahrer ist schon lange im Feierabend. Vorschläge über Vorschläge werden gemacht, die wildesten Ideen werden in den Raum geworfen und auf einmal einem Engel gleich, ich würde behaupten einen kleinen Heiligenschein gesehen zu haben, tritt einer unserer Helfer mit Hund in die Runde und lässt ganz locker fallen, dass er selbständiger LKW-Fahrer ist und noch komplett fahrtüchtig. 6er im Lotto, Jackpot, Hauptgewinn! Mann und Hund werden mit einem LKW ausgestattet und düsen nach Berlin. Die Zeit vergeht, es ist schon lange dunkel, aber kein LKW ist in Sicht und unter der hinterlassenen Handynummer ist niemand erreichbar. Vor meinem geistigen Auge lösen sich tausende Euro Getränke in Luft auf. Panik breitet sich in der Runde aus, keiner will es so recht zugeben. Nach gefühlten 12 Stunden und mit realen 3 Stunden Verspätung humpelt der Laster auf unser Gelände. Wir stürmen auf den Fahrer zu und löchern ihn mit Fragen. Der Tank ist fast leer. Er habe die Einfahrt verpasst und sei eine Weile geradeaus gefahren. Vor der polnischen Grenze sei ihm aufgefallen, dass etwas nicht stimmt und dass sein Handy alle ist. Wir öffnen den LKW und sehen, dass eine Palette, resultierend aus der Fahrweise unseres Engels, quasi komplett zerstört ist, das ist aber allen egal. Wir sind einfach nur froh, dass die Ware da ist. Als wir den Lastwagen wenige Tage später zurückbringen, müssen wir eine Reinigungsgebühr bezahlen – zu viele Hundehaare auf dem Beifahrersitz.
Angenehm Sonntagnachmittag: Wir haben weder Kosten, noch Mühen gescheut, um ein riesiges, weißes Klavier auf ein Floß zu setzen und im See zu verankern. Nachdem das drei Tage gut gegangen ist, sieht das Floß am dritten Tag stark lädiert aus, ist fast in zwei Hälften zerbrochen und das Klavier droht, DIE neue Tauchattraktion zu werden. Mit vereinten Kräften und baywatchgleich retten wir das in Not geratene Instrument und bringen es zum Steg. Wir sperren das Floß mit Flatterband ab und gehen nach oben, um Werkzeug für den Rückbau zu organisieren. Wieder unten angekommen, ist das Floß vom Steg verschwunden und treibt wieder auf dem See. Auf ihm: zwei Pappenheimer mit komplett trockenen Klamotten. Die beiden Abenteurer werden zurückgepfiffen und der Rückbau beginnt. Balancierend und mit chirurgischer Präzision wird Schraube für Schraube gelöst, während vier Zuschauer sich nicht schämen, in der Sonne aalend einen Chorgesang der schlauen Sprüche zum Besten zu geben. Nach zwei Stunden, vier unfreiwilligen Tauchgängen und viel Praxis im Akkuschrauberwerfen ist die Arbeit getan.
Unangenehm Montagnachmittag: Die Müllparty ist vorbei, wir sitzen entspannt in der Abendsonne auf dem Steg und überblicken den See. Unser Arbeitsmotivator Nummer 1 gesellt sich zu uns und wirkt seltsam gelöst. Mit gönnerhafter Miene verteilt er an jeden, der sich nicht schnell genug retten kann, die Art von Champignons, die man nicht im Supermarkt kaufen kann. Es wird beherzt zugegriffen und die komplette Crew sitzt wenige Minuten kauend, schweigend da. Alle sind entspannt. 30 Minuten später kommt von genau dieser entspannten Person die Ansage, dass sich doch bitte alle noch einmal aufraffen sollen, um Teile der Technik abzubauen, bevor es dunkel wird. Man kann sich vorstellen, wie wenig ernsthaft und produktiv sich dieser Abbau gestaltet hat.