text Leonie Ruhland
fotos Jean-Paul Pastor Guzmán
Pünktlich zum Beginn der Festivalsaison schafft es ein Thema an die Tagesordnung, das nicht nur alle Festivalbegeisterte auf Trab hält, sondern auch den Blick zahlreicher Medien in eine Richtung lenkt: das Fusion-Festival. Angeblich sind die Sicherheitsvorkehrungen mangelhaft. Dabei gab es die letzten 20 Jahre nie ein Problem. Um was geht’s hier wirklich? Ein Kommentar von Leonie Ruhland.
*Die Höme Redaktion spricht derzeit mit verschiedenen Akteur*innen für eine anknüpfende Berichterstattung über das Geschehen in Lärz.
Das Fusion-Festival ist ein Event, das seit 1997 auf dem ehemaligen Militärflugplatz in Lärz stattfindet. Um die 70.000 Besuchende können hier am letzten Juni-Wochenende ein umfangreiches Angebot an Musik, Kunstinstallationen, Workshops oder Theater erleben. „Vier Tage Ferienkommunismus“ lautet das Credo des veranstaltenden Kulturkosmos-Vereins, das sich nicht nur durch die Erwartungshaltung von gegenseitiger Toleranz und selbstverantwortlicher Achtsamkeit, sondern vor allem durch die Abstinenz von Großsponsoren sowie staatlicher Beamter auf dem Gelände ausdrückt. Private Securities sorgen für Sicherheit, während sich die Polizei lediglich auf den Zufahrtsstraßen außerhalb des Geländes platziert. Bei konkreten Verdachtsfällen oder Notsituation wird sie laut Aussage der Veranstaltenden hinzugezogen. 20 Jahre lang ging dieser Ansatz auf.
Politische, in Teilen hoch gewaltbereite Personen
Vorige Woche, am 3. Mai, eröffnete die Polizei Neubrandenburg nun, dass das Konzept der Sicherheitsvorkehrungen des linksalternativen Festivals in Mecklenburg nicht mehr genehmigungsfähig sei. Dabei lauteten die Hauptbegründungen eine „mangelhafte Entfluchtung“ der Hangars, die als Bühnen dienen, sowie eine fehlende Notfallbeschallung auf dem Festivalgelände. In einer Pressekonferenz am 7. Mai der zuständigen Ämter in Neubrandenburg sagte Nils Hoffmann-Ritterbusch, dass es dazu mehrfach Hinweise gegeben hätte, die der Veranstalter bisher ignoriert habe. Geltende Bestimmungen müssten aber beachtet werden. Bei 70.000 Besuchenden könne man die Sicherheit nicht dem Zufall überlassen. Er erwarte die Anwesenheit „politischer, in Teilen hoch gewaltbereiter Personen.“ Der Polizeipräsident will eine Polizeistation sowie anlasslose Bestreifungen einrichten. Niemand könne ernsthaft an der Notwendigkeit zweifeln, „dass Sicherheitsbehörden, Rettungskräfte und Polizei jederzeit einen freien Zugang zum Gelände haben müssen“.
Gefahr eines Ausbruchs des Norovirus
Landrat Heiko Kärger meldete sich bei der Pressekonferenz ebenfalls zu Wort: Er bemängelte unzureichend breite Fluchtwege, einen umfassenden Schutz für Minderjährige und sprach gar von einem fehlenden Gesundheitskonzept wie beispielsweise der Gefahr eines Ausbruchs des Norovirus. Zudem werden Massenpanik, Terroranschläge oder Diebstähle genannt. Es gehe um einen Schutz vor allen möglichen Gefahren. Auch die Notre Dame habe 500 Jahre lang nicht gebrannt, bis es schließlich passiert sei, so Kärger.
Die Veranstaltenden setzen sich derzeit heftig zur Wehr – ein Novum, denn normalerweise fällt die Fusion nicht durch Öffentlichkeitsaffinität auf. „Unsere Hangars sind bereits seit 22 Jahren fester Teil des Festivalgeländes und deren Entfluchtungsschema wurde in der selben Zeit nie die Zustimmung verweigert“, heißt es im aktuellen Newsletter. Auch würde an den gewünschten Nachbesserungen fleißig gearbeitet. Es existiere bereits ein Kriseninterventionsteam für alle Fälle, wie Martin Eulenhaupt vom Kulturkosmos in der aktuellen Pressekonferenz berichtete. Und in den Foren werde stets sehr transparent über jegliche Vorfälle auf dem Festival diskutiert. Die Dunkelziffer sei also extrem hell, ergänzte Vereinskollege Stefan Pelzer. Zudem besteht eine enge kollegiale Zusammenarbeit mit den Lokalpolitiker*innen – was nicht zuletzt den nicht unwesentlichen Wirtschaftsfaktor der Fusion ausmacht. Alle betonen die Wichtigkeit des Events in der Umgebung. Dass hier nach Jahrzehnten der Zusammenarbeit Lösungen gefunden werden können, ist mehr als wahrscheinlich. Weshalb es letztlich doch eine Debatte zwischen Polizei und Veranstalter bleibt.
Wie auch im vergangenen Jahr ohne besondere Vorkommnisse
Der Polizeipräsident spricht von einer „Gefahrenabwehr“, die der Kulturkosmos nicht nachvollziehen kann: „Wir haben in den vergangen Jahren in guter Zusammenarbeit mit den beteiligten Behörden, Sanitätsdienst, Feuerwehr, unserem Sicherheitsdienst und zehntausend, zumeist ehrenamtlichen Mitwirkenden, eine flächendeckende und umfassende Sicherheitsstruktur geschaffen.“ Ein Schnitt von lediglich 2,5 Delikten pro Festival spreche für dieses System. „Wie auch im vergangenen Jahr ohne besondere Vorkommnisse“, beurteilt selbst die Polizei noch 2018. Von welcher Gefahr Hoffmann-Ritterbusch spricht, bleibt für den Müritz-Verein fraglich. Zudem hatte der Verein angeboten, dass eine Polizeistation auf dem Flugplatzgelände außerhalb des eingezäunten Geländes (also außerhalb der Bühnen, Tanzflächen, eines Teils des Campingplatzes) errichtet werden könne, was der Polizeipräsident aber ablehnte. Der Polizeipräsident wolle „offenbar das Festival seinen normativen Vorstellungen entsprechend regulieren, maßgebend und kontrollierend in unser Konzept des Festivals eingreifen“, heißt es im aktuellen Newsletter. Auch CDUler Henry Tesch, Bürgermeister von Mirow, findet klare Worte: „Stinksauer“ sei er, dass immer wieder jahrelang erarbeitete Strukturen zerschlagen werden. „Niemand hat die Absicht, die Fusion zu verbieten“ klinge verdächtig nach dem Satz mit der Mauer. „Das glaubt man schlicht nicht.“ Es sei die Einzelverantwortung eines Mannes, „der alles hochgekocht hat“, dessen „Flurschaden“ nun alle anderen ausbaden müssten.
Die ganze Debatte klingt nach einer Farce. Dass es einen Raum gibt, in dem die Polizei kein Mitspracherecht hat, ist für sie schlicht inakzeptabel. Bereits in den letzten Jahren konnten wir eine wachsende Anspannung im Konflikt zwischen Polizei und linksalternativen Bewegungen beobachten, die sich nicht zuletzt in den aktuellen Entwicklungen restriktiver Gesetzesreformationen in den Bundesländern abzeichnet. Während sich der Rechtsruck in Deutschland ausweitet, konzentrieren sie sich abermals auf eine angeblich (links-)radikale Gefahr.
Dass aus diesem Umfeld in den letzten 22 Jahren keine nennenswerten Vorkommnisse zu verzeichnen sind, lassen sie dabei außer Acht.
Die Nachricht, es habe in der Vergangenheit des Festivals bis zu drei Vergewaltigungsvorwürfe gegeben – dessen plötzliche Erscheinung ein bisschen nach populistischen Zügen stinkt – unterstützt die Forderung nach einer Polizeistation ebenso wenig. Im Gegenteil: wer sexuelle Übergriffe erfahren musste, hinterfragt heute dreimal, ob eine staatliche Einrichtung die richtige Anlaufstelle ist, insbesondere in linksalternativen Kontexten wie der Fusion. Dafür ist das Vertrauen zu den Behörden zu sehr geschädigt. Mit Sicherheit ist die Fusion, was eine umfassende antisexistische Struktur betrifft, zu kritisieren. Aber eine Anwesenheit der Polizei in diesem Zusammenhang ist nicht gerechtfertigt. Mehr noch: Aus Erfahrung der Verfasserin dieses Textes (durch ihre Arbeit mit Betroffenen), sind es oft Beamte, die mit ihrer unsensiblen Handlungsweise eher für eine Retraumatisierung der betroffenen Person sorgen, als für Schutz. Sie sind also schon allein in dieser Hinsicht auf dem Gelände strikt abzulehnen.
An dieser Stelle passend, ein Vergleich mit dem Oktoberfest: Allein im Jahr 2018 wurden insgesamt 924 Straftaten u.a. 42 gemeldete Sexualdelikte (davon 4 bestätigte Vergewaltigungen) registriert.
Was die Beispiele Terroranschlag oder Massenpanik als Gründe für eine Polizeistation angeht, sind diese simpel zu widerlegen. Für Letzteres ist ein ausgeklügeltes Ordnersystem nötig, keine bewaffneten Polizist*innen in Uniform. Bei den dramatischen Vorfällen auf der Loveparade in Duisburg zeigt sich laut einer ARD Reportage, dass vermutlich auch polizeiliche Maßnahmen zur Tragödie beitrugen. Gesetz den Fall eines Terroranschlags – dessen Szenarien meist auf einem Selbstmordattentat beruhen – ist die Polizei selbst völlig hilflos. Leider ist bei einer solchen Tat die Hinderung zur Flucht bereits mitgedacht. Und eine individuelle Taschendurchsuchung in Anbetracht der hohen Teilnehmendenzahl unverhältnismäßig. Dahingehend stellt sich eher die Frage: Warum die Fusion? Müsste nach Sri Lanka dann nicht auch jeglicher Gottesdienst bestreift werden?
Via Youtube-Videos wolle er sich ein Bild von dem Event verschaffen.
Dass irgendwie mehr hinter den Forderungen der Polizei steckt, als angeblich mangelnde Sicherheitsvorkehrungen, erkennt man an der Pressekonferenz am 7. Mai. Als Hoffmann-Ritterbusch gefragt wird, warum die Behörde in Lärz bis zu 1100 Unterkünfte angefragt habe – anders als die 90-250 Plätze in den letzten Jahren – kann dieser das „im Detail noch gar nicht sagen.“ Man könne aber mit Dynamiken rechnen, die nicht kontrollierbar seien. Konkreter wird der Polizeipräsident – wie beinahe die gesamte Konferenz lang – nicht. Generell scheint er wenig Ahnung von der Materie zu haben, von der er da spricht. Via Youtube-Videos wolle er sich ein Bild von dem Event und mit Plänen und Legenden einen Eindruck des Geländes verschaffen. Einhergehend zeigt er sich immer wieder persönlich beleidigt. Zu einer möglichen Annäherung beider Parteien fragt er: „Warum sollen wir eigentlich über den Schatten springen? Springen Sie doch über den Schatten. Der Schatten ist doch gar nicht so lang.“ Er verlangt aber weitergehend eine anlasslose Kontrolle – und das ist ein sehr großer Schatten. Es gibt absolut keine Begründung dafür, wieso sich Festivalgäste auf dem Gelände der Unmut aussetzen sollten, zu jeder Zeit ihre Taschen aufmachen zu müssen – was übrigens auch bei anderen Festivals keineswegs der Fall ist. Hoffmann-Ritterbusch sagt weiter: „Ich sehe einen Kompromiss in einer Kooperation auf allen Ebenen.“ Wer da von Kompromissbereitschaft redet, hat den Kontext nicht verstanden. Das alles klingt mehr nach Provokation als Deeskalation.
Die Fusion gilt als Schutzraum.
Hoffmann-Ritterbusch fragt, was gegen eine Bestreifung auf dem Fusiongelände spreche. In einem Rechtsstaat, in dem Bürger*innen ein grundsätzliches Recht auf Freiheit von Behörden haben müssen, ist die Frage verkehrtherum gestellt. Die Polizei muss konkrete Gründe für ihre Forderungen nennen. Derzeit kann sie das nicht. Indes ist sie durchaus befugt, die Zufahrtsstraßen zu kontrollieren – was sie seit Jahren aber auch schon tut. In vergangenen Fällen bezüglich Sicherheit, Gewalt oder einer wetterbedingten Evakuierung hat die Fusion-Security vorbildlich agiert und wie eine Polizeistreife dies hätte besser machen können, wäre zu belegen. Von einer finanziellen Rechtfertigung des Einsatzes mal ganz abgesehen.
Die Fusion gilt als Schutzraum. Sie bietet allen Beteiligten für einen kurzen Zeitraum eine Plattform zur freien Entfaltung, zur Selbstbestimmung ohne Angst vor Repressionen. Durch den toleranten und selbstverantwortlichen Ansatz wird sie zu einem friedlichen, inklusiven Ort. Dass es ein Wunsch ist, dies beizubehalten, zeigt die Petition „für die Freiheit von Kunst und Kultur“, die innerhalb von wenigen Tagen bereits über 115.000 Unterschriften zählt. Larissa Krause von der Clubkommission Berlin hat vollkommen Recht, wenn sie sagt, dass eine Kriminalisierung und Illegalisierung von solchen Räumen stattfindet.
Hier lang, zur Online-Petition und Erklärung der Fusion: www.kulturkosmos.de/mitmachen/