fotos Sascha Krautz
Dass das bald volljährige Immergut Festival besonders liebenswert ist, sollte allgemein bekannt sein. Aber nicht nur für die Gäste, auch für viele Bands ist das Immergut mehr als eine Fahrt ins Grüne. Einer der Gründe dafür ist der außergewöhnliche Künstlerbereich.
Denn während meist ein kahler Container oder liebloser Wohnwagen als Garderobe und Rückzugsort für die Bands herhalten muss, kommen Künstler auf dem Immergut anderweitig unter. Die in liebevoller Handarbeit hergerichteten alten Bauwagen machen den Bereich hinter der Hauptbühne zu einem kleinen Künstlerdorf.
Unverkennbar ist, dass jeder dieser Wagen eine kleine Geschichte zu erzählen hat, die wir hier, mit Hilfe des Immergut-Teams, erzählen wollen.
Die guten Stücke werden im Winter zwischengelagert und müssen vor dem Festival dann meist illegalerweise, im Schritttempo, mit dem Trecker zum Gelände transportiert werden. Das dauert pro Wagen mindestens eine halbe Stunde und dabei gibt es auch mal die ein oder andere Polizeikontrolle.
Einmal angekommen und in Position gebracht, geht der Spaß aber endlich los: Nackte, sich liebende Menschen, randalierende Bands oder übermüdete Veranstalter – so ein Bauwagen bietet viele Möglichkeiten.
Steffi: Unser „Schnittchenflittchen“. Komplett selbst designed, aufgebaut und eingeweiht. Der Ferrari unter den Wagen, wenn man so will.
Die Super-Funktion haben wir für ihn noch nicht gefunden und so ist er 2016 erstmals als Aufenthalts- und eben Schnittchen-Wagen benutzt worden. Während der Auf- und Abbauwoche haben wir hier auf der Veranda immer heimlich Pause gemacht.
Rike: Damit das Schnittchenflittchen überhaupt gebaut werden konnte, musste zunächst die heruntergekommene alte Hülle auf dem Fahrgestell abgerissen werden. Wir alle hatten eher wenig Erfahrung damit, also hieß es einfach mal frontal mit der Radlader-Gabel rein da und schauen, was passiert. Beim Rückwärtsfahren hat sich dann aber leider die Gabel im Wagen verkantet und das ganze Teil drohte auf den Radlader zu kippen. Als das gröbste abgerissen war, durften dann unsere Schüler bewaffnet mit Axt und Vorschlaghammer ihren alltäglichen Frust auslassen. Wir alle waren im Anschluss sehr entspannt.
Matze: Als Konstrukteur und Bauleiter kann ich mich mit dem Spitznamen zwar nicht ganz anfreunden, aber gut. Wir haben auf jeden Fall all die Erfahrungen aus dem Bau des Orga-Wagens in diesen Wagen einfließen lassen und ihn in der Rekordzeit von vier Wochenenden gebaut. Auch dank unserer Schüler aus dem Projektkurs. Er ist unsere Bauwagenperle. Baujahr 2015 und noch keine 10km gelaufen. Planungszeit: unzählbare Stunden am PC. Besonderes Highlight: Die Terrasse mit indirekter Beleuchtung.
Steffi: Einmal hab ich ein ganzes Bauwochenende lang mit mehreren Energydosen bewaffnet auf diesem Dach gesessen und es mit Rostschutzfarbe angemalt. So hörte ich alle Gespräche mit und keiner wusste, dass ich da oben saß. So erfuhr ich sogar von einer Schwangerschaft, bevor es wirklich offiziell war.
Björn: Aus einem undichten Fenster wurde bei diesem Wagen schnell eine große Fensterfront, mit der man einen wunderbaren Blick über das gesamte Backstage-Gelände hat. Manche verwechseln auch das Plexiglas mit einem Durchgang (Friska Viljor) und so wurde 2015 aus dem Fenster ein kleiner Balkon.
Marco: Haben Friska Viljor nicht auch Stühle umhergeworfen und in eben diesem Bauwagen randaliert?
Matze: Als der mal einen Platten hatte, mussten wir erst das Rad wechseln und ihn dann mit dem Radlader einmal quer durch die Stadt ziehen. Dabei hab ich mich in einer Kurve verschätzt und fast eine Straßenlampe umgefahren. Es wurde mehrmals vor und zurück rangiert, bis es weiter ging. Das ganze Manöver hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und mehrere ältere Damen und Herren haben das Spektakel von ihren Fenstern aus beobachtet. Logischerweise gab es auch sehr hilfreiche Kommentare. Über einen Kontaktmann bei der Polizei haben wir dann noch erfahren, dass jemand sogar schon die Polizei verständigt hatte: „Da fahren irgendwelche Verrückten mit dem Radlader und einem Bauwagen durch die Gegend.“
Steffi: Das ist vielleicht der Bauwagen, den wir uns alle im eigenen Gärtchen vorstellen könnten. Er ist schön klein, aber bestens ausgestattet – sogar ein Waschbecken! Lucy Rose hat hier nach ihrem Auftritt ein bisschen Merch vergessen und so einen unserer Booker sehr glücklich gemacht.
Björn: Dieser Wagen hat die besten Betten aller Bauwagen und ist daher sehr begehrt, wenn es um das Rennen der Schlafplätze am Immergut-Morgen nach der Disko geht.
Marco: Das ist auch der Bauwagen, bei dem keiner versteht, wie die Bremse funktioniert bzw. ist sie regelmäßig eingerostet. Letztes Jahr wurde sie von Freese (der auch nicht wusste, wie das Problem zu lösen sei) mit festgestellter Bremse über das halbe Festivalgelände gezogen.
Matze: Der steht bei uns im Künstler-Bereich immer in einer kleinen Kuhle. Als wir ihn letztes Jahr nach dem Festival zurück ins Winterlager fahren wollten, hat er sich einfach nicht mehr bewegt. Vielleicht hat’s ihm da so gut gefallen, dass er nicht mehr weg wollte. Selbst mit Traktor und Vollgas haben die Räder blockiert. Drei WD40 Dosen, viele Nerven und einige Hammerschlägen an den richtigen Stellen später, war er dann wieder flott unterwegs.
Rike: Dieser Wagen war früher dunkelgrün lackiert und irgendwann wurden wir neugierig, wie der Wagen wohl abgeschliffen aussehen würde: also begannen wir mit einem (im Vergleich zur Gesamtfläche wahnsinnig winzigen) Schleifgerät. Es stellte sich heraus, dass das Ergebnis sehr schön war, nur leider der Prozess bis dahin unglaublich nervig. Nach der halben Rückwand war ich dankbar, als Seppi das Zepter übernahm und am Ende völlig mit grünem Staub bedeckt war.
Sepp: Leider war das Schleifgerät bei mehreren Schichten Lackfarbe ziemlich hilflos, aber der Ehrgeiz schnell geweckt. Statt Schleifgerät musste eine Flex ran und aus dem geplanten Tag Einsatz wurden insgesamt vier Tage. Und ja: es staubte ein wenig. Selbst Tage nach dem Bauwochenende rieselten beim Duschen noch Farbreste aus den Haaren. Zum absoluten Glück fehlt nur noch eine Übernachtung im Wagen. Doch leider muss man dazu ziemlich pünktlich die Tanzfläche verlassen…
Björn: Immer ganz hinten, immer für die Bands mit großer Travel-Party, immer für die Headliner die Ruhe brauchen. Dieser Wagen hat in den letzten Jahren konstant unseren Headlinern als Garderobe zur Verfügung gestanden. Warum? Groß genug, mit einem bestimmten Flair und trotzdem irgendwie kuschelig.
Steffi: Die Wagen wechseln so gut wie jedes Jahr ihre Farbe und genau dieser Wagen stand lange Zeit für einen kleinen Fauxpas. Warum auch immer versuchten wir die rostigen Stellen mit Formen wie Dreiecken, Vierecken und einem Pausenzeichen zu übermalen. Zu blöd nur, dass ein Dreieck freihand echt nicht funktioniert. Noch blöder, wenn man beim Pausenzeichen die Mitte ausmalt statt nur die zwei Striche.
Katja: Oh ja, der ist auch super schön von innen. Seit einigen Jahren ist es unser „China-Wagen“. Eingerichtet mit herrlich kitschigen roten Lampen mit gelben Drachen drauf und super bequemen Sesseln und Couches. Mein Bruder ist ein kleines Einrichtungsgenie und mit wenigen Handgriffen hat er es geschafft, dass der Wagen vollkommen gemütlich und nicht zu voll oder leer aussah. Seitdem müssen wir in dem Wagen eigentlich nicht mehr viel Deko anbringen. Vielen Dank noch mal dafür!
Steffi: Unser alter Orga-Wagen. Hier schaltete und waltete der Verein während des Festivals viele Jahre lang. Es ist furchtbar dunkel da drin und mit all dem Orga-Zeug wurde es auch immer wahnsinnig eng. Dennoch wurden hier viele wichtige Dinge besprochen oder auch mal erschöpft die Augen geschlossen.
Marco: Mein Lieblingsmoment in diesem Bauwagen war, als irgendwann so gegen 23 Uhr am Festivalfreitag 2012 per Funke der Wunsch nach mehr Bändchen für die Abendkasse reinflatterte und wir nirgends neue Bändchen finden konnten. Bis wir realisierten, dass wir – in diesem eher schlecht laufenden Jahr – doch noch ausverkauft sind. Dann gab es erstmal für alle Sekt und Partystimmung.
Das ist auch der Bauwagen, den ich 201? mit bloßen Händen aufbrechen musste, weil die zwei Personen mit dem Schlüssel nicht auffindbar waren und Tanja den ganzen Backstage-Bereich zusammengeschrien hat.
Matze: Gleichzeitig auch der Lagerplatz für unseren Kiosk. Der wird zerlegt und in diesem Wagen mal mehr und mal weniger gut eingelagert. Als wir den Bauwagen mal zurückgezogen haben und die Kiosk-Teile hin und her geschaukelt sind, hatten wir kurz Angst, dass der Bauwagen auseinanderbricht weil wir etwas zügig über eine Bordsteinkannte gefahren sind. Die Wände haben auf jeden Fall echt doll gewackelt.
Björn: Dieser Wagen kam 2012 zur Immergut Bauwagen-Familie und war in seinem früheren Leben ein großes Werbeschild an der B96. Entsprechend viele geflügelte und kuschelige Felltiere haben damals in diesem Wagen gewohnt. Nach einem abenteuerlichen Transport, der trotz Hasen-Modus im Radlader zwei Stunden und viele böse Blicke von Auto- und LKW-Fahrern auf der Bundesstraße kostete, und einer gründlichen Innen- und Außenreinigung, glänzt der Wagen nun und bietet mit der Eingangsempore einen klaren Vorteil gegenüber allen anderen Bauwagen.
Katja: Wenn wir in der Aufbauwoche genug Zeit haben versuchen wir jedem Wagen ein anderes Thema zu geben. Ich glaube dieser Wagen hatte dann tatsächlich auch das Thema Geometrie. Wir haben mit den restlichen Plakaten ein paar Origami-Falttechniken ausprobiert und damit die Wände geschmückt. Dazu gab es noch Origami-Anleitungen und Papier, damit sich die Künstler*innen selbst ausprobieren konnten. Ein paar Papierflieger und einen Kranich haben wir dann tatsächlich später gefunden. Ein Jahr später war das Thema „Unterwasserwelt“ dran. Mit vielen grünen und blauen Bändern die von der Decke hingen.
Björn: Mal grün, mal gelb, mal blau. Dieser Wagen wechselt so oft, wie kaum ein anderer, die Farbe. Die grüne 6 bleibt aber immer bestehen. Bemerkenswert, denn das ist bei allen anderen Wagen nicht der Fall. Auch hat dieser Wagen die härteste Tür auf dem Immergut – jedenfalls wenn es um das Öffnen und Schließen geht.
Katja: Unser Salonwagen. Man kommt rein und wird von einem schönen Gemälde, einem gemütlichen 60er Jahre Sessel und einem kleinen Tisch begrüßt. Hier gab es 2013 herrliche Herzchen-Stoffe an der Wand und roten Stoff an der Decke. Damit es dann doch nicht zu sehr nach Puff aussieht, haben wir versucht, es möglichst Salon-artig einzurichten. Ob die Zartbitterschokolade und Zigarillos, welche es thematisch-passend dazu gab, zur Salon-atmosphäre beigetragen haben, würde ich heute bezweifeln. Im nächsten Jahr hatten wir dann das Motto „Alpen/Gebirgscamp“. Ich glaube, das hat dann besser gepasst.
Steffi: Seit 2016 haben wir durch eine Zusammenarbeit mit dem Neustrelitzer Gymnasium auch Schüler mit imTeam. Die haben, von uns unbeobachtet, diesen Wagen plötzlich so wunderschön farbig gestrichen, da waren wir erst einmal sprachlos. Aber man gewöhnt sich ja an alles.
Katja: 2014 hatten wir hier das Thema „Zeitungen“. Das ist immer recht einfach: ein bisschen doppelseitiges Klebeband und einen guten Tacker und schon hat man die neusten Neuigkeiten an die Wand gepinnt. Da hatten dann alle Helfer*innen die Aufgabe Zeitungen zu sammeln. Die spannendsten Artikel haben wir uns dann rausgesucht (es wurde wirklich viel gesammelt). Im nächsten Jahr war dann das Motto „über den Wolken“ und alle Helfer*innen waren damit beschäftigt Watte an Angelsehne zu knüpfen. Keine leichte Aufgabe. Viele entschieden sich dann doch lieber für’s Löcher buddeln zum Stromkabel verlegen.
Steffi: Der Neueste gekaufte in der Flotte. Er kam völlig ausgeschlachtet zu uns. Einzig eine kleine Holzmühle mit einer Lichterkette war darin. Es ist echt nicht einfach noch halbwegs intakte Bauwagen in der Nähe zu finden, die auch noch zu bewegen sind. Ein wahrer Glücksgriff.
Foto: Ulrike Jäger
Rike: Nicht nur in der Aufbauwoche, sondern auch während des Festivals ein beliebter Schlafplatz für Mitglieder der Orga-Runde. Unter dem Tisch oder auch zwischen Tischbeinen und Holzwand.
Marco: Allgemein der Ort für alles. Dieser Bauwagen schläft fast nie und sieht über die Zeit des Festivals so etwa jede Person, die sich im Backstage aufhalten darf. Hier kommt her, wer was sucht, wer was will, wer eine Frage hat.
Matze: Den Ersten vergisst man ja bekanntlich nie und beim ersten Mal kann bekanntlich auch immer gerne mal was schief gehen. So auch bei unserem ersten selbst gebauten Bauwagen, unserem Orga-Wagen – der Mittelpunkt der Organisation. Die akribische Vorplanung mit 3D CAD Model, einem Hefter voller technischer Zeichnungen plus mein Bauchgefühl sagten eine Bauzeit von 3 Wochenenden voraus, doch schon nach dem ersten Wochenende wurde klar, dass daraus nichts wird. Da wirklich jedes Holzteil an diesem Wagen mit Holzschutz behandelt wurde und das Trocknen länger als geplant gedauert hat, hat sich die Bauzeit auf 12 Wochenenden vervierfacht. Als er dann das erste Mal auf die Fläche kam, wurde in der Aufbauwoche gleich die Eingangstür abgerissen weil die Scharniere nicht so gut waren und sich da wohl jemand rangegangen hat. Die hab ich dann mit Naavv in einer Nacht und Nebel Aktion mit einigen Bierchen am Donnerstag vor dem Festival wieder repariert. Anschließend haben wir sämtliche Kissen aus dem Backstage zusammen gesammelt und die erste Nacht im neuen Wagen in einem Meer aus Kissen geschlafen. Der nächste Morgen hat aber gezeigt, dass das überhaupt nicht bequem war. Uns tat alles weh.