Hier bei Höme gibt es mindestens eine Sache, die uns alle vereint: Die Liebe zu Festivals. Aber während die eine am liebsten die ganze Nacht zu Techno-Beats stampft, der andere gerne über das Gelände schlendert und Kunstwerke und Bauten bestaunt, verbringt eine Dritte den Tag damit, sich durch das gesamte kulinarische Angebot der Veranstaltung zu probieren. Genauso unterschiedlich wie wir, sind eben auch unsere Festival-Erlebnisse.
text Jonas Seetge
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Michael Stockmann, Dominik Wagner, Sascha Krautz, Initiative Musik
Genau deswegen wollen wir ab jetzt alle zu Wort kommen lassen – vom Fotografen, über die Projektmanagerin, bis zum Programmierer. Höme erzählt… von den wunderbarsten Momenten, den witzigsten Geschichten und traurigsten Abschieden, davon, was für uns alle Festivals bedeuten.
Im zweiten Teil dieser Reihe berichtet Finanz-Guru und Kooperations-Experte Jonas Seetge von seinen Erfahrungen im Artist Care und einer ekstatischen Nacht im Backstage.
Für Veranstalter*innen gibt es während einer laufenden Festivalproduktion jedes Jahr unzählige einprägsame Momente und Probleme, mit denen man im Vorfeld niemals gerechnet hätte, die man am Ende aber in den meisten Fällen irgendwie improvisiert gelöst bekommt. Zwei Augenblicke vereinen alle Produktionen und sind für mich jedes Jahr ganz besonders:
Das Doors Open - wenn das Festivalgelände endlich auch für Besucher*innen öffnet, diese in Scharen durch die Einlasskontrollen streben, durch das Walkie-Talkie der Funkspruch:
Hiermit hat die 13. Ausgabe unseres Festivals begonnen. Ich wünsche allen Beteiligten ein tolles Wochenende!
ertönt und sich ein Jahr Arbeit endlich auszahlt - und das Ende der letzten Zugabe, des letzten (Live-)Acts auf der Bühne, wenn der ganze Stress von einem abfällt, die Müdigkeit das Steuer übernimmt und man weiß, dass man wieder einmal ein Jahr erfolgreich hinter sich gebracht und etliche tausend Menschen (hoffentlich) glücklich gemacht hat.
Dazwischen verschwimmt alles und ist bestimmt aus einer Mixtur von Schlafmangel, mindestens 20 Problemen, die jeden Augenblick zeitgleich auf einen einprasseln können und damit einhergehenden Adrenalinschüben, die mich direkt wieder wach machen.
Ist das eigentliche Festival vorbei, trennt sich die Spreu vom Weizen. Die einen verhalten sich wie Profis, wissend, dass die Veranstaltung an dieser Stelle eigentlich noch nicht vorüber ist, weil mit dem Abbau noch die härteste aller Phasen ansteht und der Rest, dem zwar selbiges bewusst ist, der aber endlich selbst feiern möchte. Schande über mein Haupt, aber in den letzten Jahren gehörten ich und meine Artist Care Crew fast immer zur Spreu.
Das Team Artist Care lebt während einer Festivalproduktion immer in einer Parallelwelt, ist mit seinen ganz eigenen Problemen konfrontiert und auch räumlich meistens vom Rest der Crew getrennt. Bei besagtem Festival gibt es für die Künstler*innen immer ein sehr liebevoll dekoriertes und durch Zäune, bzw. separate Einlasskontrollen, vom restlichen Backstage abgegrenztes Künstler*innen-Dorf, in dem alle Artist ihre eigene Pagode bekommen. Im Zentrum liegt der „Dorfplatz“, der mit gemütlichem Lagerfeuer zur eigenen Aftershowparty und nettem Plausch einlädt.
Da der eine oder die andere Künstler*in schon ins Hotel oder in den Nightliner muss, bleibt zurück, was sich Jahr für Jahr in die absolute Ekstase steigert - feierwütige Musiker*innen, ein überglückliches Artist Care Team und eine ganze Menge Restalkohol, der vernichtet werden will.
An diesem Tag hatte sich zudem etwas ganz besonderes auf der Festivalbühne abgespielt. Nachdem ein Act einen Unfall auf der Autobahn hatte, standen wir vor dem Problem, dass ein Slot mitten im Festivalprogramm ausfallen würde und wir nur noch 45 Minuten Zeit hatten, Ersatz zu besorgen.
Da wir wussten, dass einige Künstler*innen im Backstage gut befreundet sind, trommelten wir kurzerhand ein Allstars-Team und Instrumente von verschiedensten Bands zusammen und schickten sie auf die Bühne.
Wer dabei war, wird es nie vergessen. Eine aus 5 Bands zusammengewürfelte Kombo, die nur 10 Minuten Zeit hatte sich zu überlegen, welche Songs sie gemeinsam auf der Bühne performen können, zerlegte die Zeltbühne und schrieb damit ein Stückchen Festivalgeschichte.
Diese kleine Nebenanekdote ist insofern von Bedeutung, als dass sie die Stimmung, die an diesem Abend im Artist Village herrschte, noch besser veranschaulicht. Alle ums Lagerfeuer versammelt, sponnen sich von dort aus 3 Handlungsfäden, die zusammen ein Gewebe aus Erinnerungen ergeben, von dem ich bis heute nicht sicher bin, ob es sich auch wirklich so zugetragen hat.
Da wäre zum einen der Sänger und Frontmann von Triggerfinger Rouben, der an diesem Abend eine Bekanntschaft unter den weiblichen Festivalgästen knüpfte und sie mit ins Artist Village nahm. Dort standen sie nun, über 3 Stunden auf einem Fleck, gut sichtbar für alle am Lagerfeuer und bis auf ihre Zungen bewegten sie sich keinen Zentimeter vor oder zurück. Bis zu dem Moment, als Frontmann und Sänger der Allstars-Formation Max ein etwa kniehohes Plüschpony aus einer der liebevoll dekorierten Bandpagoden entwendete. Mit Max dicht am Lagerfeuer darauf sitzend, war ich um das Wohl des Tieres bemüht und bat ihn darum, das Pony wieder in die Pagode zu bringen. Rouben bekam unseren Diskurs zum Pony mit und stieg aus dem Off mit einem Schrei ein:
Burn that fucking Pony!
Ein Ausruf, der ebenfalls Festivalgeschichte schrieb und an diesem Abend unzählige Male lauthals wiederholt wurde.
Mir war klar, ich könnte das Tier nur retten, indem ich dem vor Energie strotzenden Max einen anderen Vorschlag unterbreitete. Da wir als Artist Care Team immer für den Rückbau der Artist Village zuständig sind, könnten wir doch schon mal damit anfangen. Der Weg zur Artist Village führte jahrelang über Stock und Stein, weshalb ein extra angelegter Holzsteg gebaut wurde. Da das Holz schon etwas in die Jahre gekommen war und nicht weiter verwendet werden sollte, schlug ich also den Rückbau des Holzstegs und damit die Beschaffung von Feuerholz vor. Eine Idee, die Max gefiel. Eine Axt von der Werkzeugausgabe ausgeliehen, machte er sich ans Werk. Doch damit nicht genug. Unser Resident-DJ und ebenfalls Artist Care Mitglied Micha stieß gerade von seinem Aftershow-Gig dazu und bemerkte das Spektakel. Micha, eigentlich vom Beruf Zimmermann, schmiss die Kettensäge an und begann den Steg vom anderen Ende her zu zerlegen.
Während am Feuer noch immer „Burn that fucking Pony!“ gegrölt wurde, schwangen Micha & Max die laufende Kettensäge und Axt über ihren Köpfen und verarbeiteten den Steg zu Feuerholz.
Damit war der Moment gekommen, an dem ich mich für das Bett und gegen die mit absoluter Sicherheit aufkommenden Probleme und womöglich anstehenden nächtlichen Fahrten zum Krankenhaus entschied.
Als ich wenige Stunden später wieder erwachte, schienen zunächst alle überlebt zu haben - bis auf das Pony.
Das Drahtgestell war das einzige, was noch aus der Glut emporragte. Aber zumindest der Steg war fertig abgebaut und jemand hatte bereits damit begonnen die Zäune zurückzubauen. Dahinter steckte allerdings unser Stagemanager, der sich sehr auf seinen Schlaf gefreut und nachdem ich das Schlachtfeld verlassen hatte, wie Hulk aus der Dunkelheit erschien, die Zäune ein- und die Musikanlage aus der Steckdose riss und damit wieder ins nun endlich ruhige Dunkel verschwand.
Zum Frühstück versammelt, saßen wir dann, müde und glücklich, um das Drahtgestell, als plötzlich etwas geschah, was mir schon beim Gedanken daran Gänsehaut beschert. Über den gesamten Campingplatz breitete sich unter den abreisenden Gästen eine La-Ola-Welle aus Applaus aus und dieses unbeschreiblich schöne Gefühl, wegen des man sich diesen ganzen Wahnsinn immer wieder aufs Neue antut, ließ uns mit einem breiten Grinsen verstummen.