c/o Pop Festival, Mitte April 2022: das erste Festival des Jahres. Und endlich kommen alle wieder nach Köln für zwei Tage Convention und Festival und zwei weitere Tage c/o Ehrenfeld - dem kostenlosen Teil, der die Venloer Straße am Wochenende zumindest gefühlt zum Mittelpunkt der Welt werden lässt.
text Henrike Schröder
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Till Petersen
lesezeit 3 Minuten
„Füße auf dem Sitz / S-Bahn Fensterplatz / Bin Club-Mate-wach / Verstrahlt wie 'n Sendemast“ – Paula Hartmann
Samstag morgen. Mit der 13 fahren wir den Gürtel entlang, von Riehl nach Ehrenfeld – links der Dom in beruhigender Sichtweite, geradeaus Richtung Leuchtturm, Kölsch und Euphorie. „Ich fühl mich kurz geborgen, wenn ein Lied läuft, das ich kenn / Ich bin 'n Schwamm, ich saug die Stadt vollständig auf,“ singt Paula Hartmann passend im Club Bahnhof Ehrenfeld. Statt Veuve Cliquot gibt’s danach Rotkäppchen; abgetrunken und mit Mate aufgefüllt sodass es schäumt.
Nach zwei Tagen Convention und ersten Konzerten, wird das Festival mit der c/o Ehrenfeld am Samstag für alle geöffnet. Und das tut gut. Denn Ehrenfeld ist Festival. Hier passiert alles auf einmal. Rosen wachsen von der Decke, Kunstwerke an Wänden, Kleider kauft man nicht, man leiht sie und es gibt seit über 70 Jahren den besten Kaffee der Stadt. Gleichzeitig werden seit Jahren stickerverklebte Clubs gegen Bürogebäude, Poke-Bowl-Restaurants und hippe Cafés mit perfekt platzierten, verschrobenen Stehlampen getauscht. So kontinuierlich, dass man sich fast ans Clubsterben gewöhnt hat. Denn hier existieren Clubs vor allem als Zwischenlösung – geduldet bis der Neubau kommt.
„Ich fühle mich ernstgenommen / Und verdien unendlich Geld / Mir erklärt niemand die Welt“ – Rauchen
Also rein ins Artheater und runter in den Keller, an der Garderobe vorbei. Lila leuchtende Paneele an der tiefen Betondecke bieten jetzt die einzige Lichtquelle, ein rotbunter Perserteppich bildet die Bühne, um die sich alle herum drängen. Und in der Mitte Rauchen mit ihrer feministischen Utopie – jedenfalls so lange wie „Schlüsselkinder“ dauert: etwa 3 Minuten. „Alles was ich tu / Es fühlt sich gut / Und nicht nach Mut an.“
Gleichzeitig spricht Hoe_mies Mitgründerin Gizem Adiyaman im Urania Theater mit Künstlerinnen über weibliche Perspektiven auf die Musikbranche, die mit ihrer überraschenden Offenheit auch das letzte bisschen Utopie aus dem Kopf hämmern und durch Wut ersetzen: toxische Beziehungen mit Managements und Labels, daraus resultierende psychische Folgen, knebelnde Verträge und andauernde Rechtsstreits. Gut, dass diese Themen hier einen Platz finden und auch nicht aus dem Kopf verschwinden, als die Teilnehmerinnen Novaa, IIlira und Aisha Vibes im Anschluss auf der Bühne stehen und das komplette Theater füllen.
„Eine Blume im Grau / Blicke fangen mich auf / Und bei jedem Blick / Geht das Nicht-Lieben nicht“ – Tilman
Bei Köşebaşı Kebap gibt’s Linsensuppe mit ganz viel Fladenbrot. Tilman tritt am Samstagnachmittag in dem türkischen Restaurant auf – vor indirekt beleuchtetem Köln-Panorama, mit Sicht auf den Dönerspieß. Hier finden das erste Mal Konzerte statt. Deswegen sind direkt alle Kellner damit beschäftigt zu filmen, während auf dem Gürtel jemand langsam vorbei fährt und Seifenblasen aus dem Autofenster auf den Bürgersteig pustet.
Zurück auf die Venloer Straße; zwischen Büdchen und Kaffeerösterei werden hier Flensburger voll bierseliger Euphorie auf die Straße gestellt. Eine Große Wasserflasche in die Mitte, eine kleine wird provisorisch als Wurfgeschoss halb gefüllt: Flunkyball. Und während die Teams nach und nach wachsen, bis die ganze Breite der Venloer abgedeckt ist und sich Mitspielende in Herumstehende auflösen, denke ich: c/o pop bitte nur noch in Ehrenfeld – und die Verlierer zahlen den ersten Kranz im Bergkrug.