text Tina Huynh-Le
fotos Sascha Krautz
Siegfried & Joy bieten mit ihren Shows genau das, was ihre Namen verraten: Eine wohl ausgewogene Mischung aus Magie und viel, viel Spaß und Freude. Statt mit weißen Wildtieren warten sie mit Hosen aus Wende-Pailletten und Choreografien erster Güte auf. Wir haben sie auf dem Appletree Garden Festival im August für einen Tag begleitet und uns für ein ausführliches Gespräch in die Hängematte gelegt.
Der Zug nach Diepholz ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Ich schaue den Gang hinunter und es eröffnet sich mir ein endloses Meer von Wanderrucksäcken und Isomatten. Die Masse ist gut gelaunt, man freut sich auf die bevorstehenden Tage. „Nächster Halt: Diepholz“, ertönt es aus den Lautsprechern. Die Menge bewegt sich, es entsteht ein Sog nach draußen. Ich lasse mich treiben, bis ich einen Fuß auf den Bahnsteig setze und die Sonnenstrahlen meine Nase kitzeln. Es liegt Magie in der Luft. Festival-Magie.
Ich treffe Siegfried d’Amour & The Great Joy Leslie hinter der Bühne, auf der sie in etwa 2 Stunden auftreten werden. Sie haben gerade ihre Koffer voller Utensilien auf die Hinterbühne getragen. Beide wirken entspannt. Und das, obwohl es wohl anfangs kleine Holpersteine gab.
Ich habe gehört, dass ihr von dem Wellenbrecher vor der Bühne überrascht wurdet, weil das für euch natürlich doof ist, weil ihr ins Publikum gehen wollt. Ärgert euch sowas sehr?
Siegfried: Eigentlich nicht. Ist dann natürlich so... Man kommt an und es ist ja unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Show so gut funktioniert, wie sie funktionieren kann. Deshalb ist es dann wichtig, dass man sich am Anfang um solche Dinge kümmert. Aber das hat uns, glaub ich, heute keine Sekunde irgendwie demotiviert. Also mich zumindest nicht.
Joy: Nee. Am Anfang war‘s natürlich erstmal so: „Öh“ mit den Wellenbrechern. Aber die Leute vom Festival waren dann super kooperativ, haben das direkt gemacht, die Treppe vorne hingebaut und dann war alles super.
Wir haben noch etwas Zeit vor der Show, also beschließen wir kurzerhand, auf Promotour über den Campingplatz zu gehen. Die wichtigste Frage dabei: Welches Outfit soll es sein? Siegfried & Joy durchwühlen ihre Koffer: Paillettenhose? Mustermix? Die Devise lautet: Je auffälliger die Beinkleider, desto größer das Gesichtermeer vor der Bühne.
Die Auswahl der Kleidung ist entscheidend, ja, geradezu ausschlaggebend. Und das nicht nur für die kurze Runde durch die Festivalmeute, sondern immer und überall. Siegfried & Joy wollen auffallen. Und es gelingt.
Auf dem Campingplatz ziehen Siegfried & Joy alle Aufmerksamkeit auf sich. Die gewissenhafte Outfitwahl hat sich gelohnt. Joy hält zudem eine Sprühflasche im Einhornkostüm in der Hand und hüllt alle Besucher*innen, die uns entgegenkommen, in einen feinen Nebel aus kühlem Nass. Währenddessen ruft er immer und immer wieder „Siegfried & Joy – die Zaubershow! 17:15 Uhr! Waldbühne!“ Die Leute freuen sich über die kleine Erfrischung, denn es ist ein heißer Tag und die Schweißperlen kullern um die Wette. Ist das vielleicht schon die unterste Stufe positiver Konditionierung?
Wir sind zurück hinter der Bühne und die ersten Zuschauer*innen sitzen bereits auf der Wiese vor der Waldbühne. Siegfried & Joy gehen ein letztes Mal ein paar Tricks durch, zum Teil auch welche, die recht neu im Repertoire sind. Bei den beiden ist es kaum merklich und es so zu beschreiben kommt wohl einer maßlosen Übertreibung gleich, aber: So langsam steigt die Anspannung.
Es sind nur wenige Minuten bis zum Showbeginn. Wir wagen einen Blick nach vorn: Die Wiese vor der Bühne ist nicht mehr zu sehen, stattdessen schauen wir in eine beachtliche, voller Erwartungen strahlende Menschenmenge. Die beiden Magier sind begeistert. Sie haben Bock.
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Die Pausenfüllmusik verstummt, das Intro von Siegfried & Joy setzt ein und die beiden eröffnen ihr Appletree-Wiedersehen mit einer Sequenz, die fast schon wie ein Trailer, eine Vorschau zur noch bevorstehenden Show zu verstehen ist: Auf eine Choreografie-Einlage folgt ein Zaubertrick, auf den Zaubertrick wieder ein Tanz, das ganze durchzogen mit Slapstick-Humor und als Sahnehäubchen tragen die zwei Magier fulminante Kostüme, mit denen sie jedes Faschingskind in den Schatten stellen. Das Publikum ist direkt in den Bann gezogen. Im Takt klatschen alle mit, ganz wie im ZDF-Fernsehgarten – immer schön auf 1 und 3.
Die Anzahl der Outfit-Wechsel gleicht einem Beyoncé-Konzert. Die Farbpalette, mit der aufgewartet wird, ist bunter als der Konfetti-Haufen nach einer Bad Taste Party. Und während dieser permanenten visuellen Stimulierung werden die Ohren mit feinsten Hits wie George Michaels „Careless Whisper“ umschmeichelt.
Siegfried & Joy sind ein mehr als eingespieltes Team, viel eher eine Einheit, die durch Charme, Witz und Glitter besticht. In diese Einheit ist absolut im Flow. Nummer um Nummer gewinnen sie das Publikum immer mehr. Den Reaktionen entnehme ich, dass die Tricks bei den Zuschauer*innen das intendierte „Hä, wie nur?!“ auslösen. Doch Siegfried & Joy lassen den Leuten keine Zeit, länger drüber nachzudenken, nein, sie trumpfen stets mit einer weiteren Tanzeinlage, einem weiteren Comedy-Abschlag auf.
Ich sitze vor der Bühne und finde es fast ein bisschen schade, dass ich Siegfried & Joy bereits vor der Show ein wenig begleiten durfte, denn so weiß ich bei einigen Tricks ganz genau, wie sie funktionieren. Ich blicke ins Publikum, das dieses Wissen nicht hat und fühle mich einen Moment lang gleichermaßen benachteiligt wie überlegen. Und plötzlich erinnere ich mich an einen Prokastinations-Nachmittag und eine Szene aus Big Bang Theory: „Das Nichtwissen gehört zum Spaß dazu“. Props gehen an dich, Penny – du hattest so, so Recht.
Eines ist klar: Im Zentrum steht hier der Spaß. Und zwar der aller Beteiligten. Siegfried & Joy schaffen es, das Publikum gleichermaßen mit ihren Tricks zum Staunen zu bringen wie auch ihre Freude an der Performance zu übertragen. Zwischenapplaus und kollektive Lacher wechseln sich stetig ab. Die Show ist der Inbegriff und die pure Verkörperung von Unterhaltung. Vermutlich rührt der Spaß der zwei Magier auch zu einem gewissen Teil daher, dass Sie sich selbst nicht sonderlich ernst nehmen und dadurch eine Leichtigkeit zu spüren ist, die dem ganzen Konzept einen sehr angenehmen und zugänglichen Charme verpasst.
In meiner Magengegend verspüre ich einen ständigen Schlagabtausch zweier Gefühle: Fremdscham und Lach-Bauchschmerzen. Auf jedes „Oh Gott“ folgt ein noch größerer Lacher. Doch eben dieses „Oh Gott“ ist Siegfried & Joy kein Begriff und wahrscheinlich sollte ich mir eine Scheibe davon abschneiden.
Highlights der Show sind definitiv die Momente, in denen ahnungslose Zuschauer*innen ins Geschehen integriert werden. Zu beobachten, wie diese ins kalte Wasser geworfenen Menschen auf ihren plötzlichen Kurz-Ruhm reagieren, lässt den Spaß beim Zuschauen exponentiell ansteigen. So zum Beispiel Magic Wookie: Der junge Mann mit beachtlicher Gesichtsbehaarung wird für einen Trick auf die Bühne geholt, für den er erst spontan die Choreografie lernen und mittanzen und sich dann einen vermeintlich vollen Becher über dem Kopf ausschütten muss. Aber Magic Wookie schöpft den Fame voll aus und macht mit, als hätte er sich den ganzen Tag auf nichts anderes vorbereitet. Magic Wookie, du bist ‘n cooler Typ.
Für einen anderen Trick mit einer ominösen Uhr, bei dem Siegfried & Joy die Zeit vorhersehen, wird ein Besucher aufgefordert, zu einem beliebigen Zeitpunkt aufzuspringen und „Die Zeit ist gekommen!“ zu rufen. Der Moment, den er wählt, liegt unglücklicherweise mitten in der sogenannten „Würfelkasten“-Nummer. Siegfried & Joy müssen die Nummer unterbrechen. Für einen kurzen Moment bilde ich mir ein, einen Hauch einer Spannung zu spüren. Damit haben die beiden nicht gerechnet. Aber sie überspielen die ungeplante Programmänderung mit einer Leichtigkeit von Humor. The show must go on.
Die Show ist vorbei, die Spannung fällt ab. Die beiden Zauberer der Herzen fallen sich in die Arme.
Solange noch Besucher*innen vor der Bühne sind, verteilen Siegfried & Joy Flyer, die die Form einer Tiger-Schnauze haben und so ausgestanzt sind, dass man sie sich an die Nase klemmen kann. Die Leute sind begeistert und alle wollen Selfies mit den beiden Zauberern. Ich stehe plötzlich in einer Traube aus Tiger-Menschen und beobachte Kinder wie Erwachsene dabei, wie sie einem Raubtier gleichend posieren und fauchen.
Langsam verläuft sich die Masse und Siegfried & Joy haben Zeit, die letzten 50 Minuten zu verarbeiten. „Ich fühle mich gut! Bisschen warm, aber sonst top!“, so hält Siegfried das Gefühl nach der Show fest. Nach einem Bier und ‘ner Zigarette fangen sie an, ihre Utensilien zusammenzupacken. Ich beobachte das Gewusel, sehe aber eigentlich nur ein Getümmel aus Pailletten, Federn und Tiger-Muster, gepaart mit diversen Show-Utensilien wie Karten oder Schaumstoffsternen. „Einräumen ist das Schlimmste“, murmelt Siegfried, während er seine Glitzerhose zusammenfaltet.
Die Wirkung des Adrenalins lässt nach, Siegfried & Joy werden immer ruhiger, kehren in sich, lassen die Show Revue passieren. Zeit für einen Plausch.
Erzählt nochmal, wie ihr euch fühlt.
Siegfried: Jetzt gerade ist gut.
Joy: Ja, auf jeden Fall.
Wie lief euer Auftritt denn aus eurer Sicht so?
Joy: Es war super schön!
Siegfried: Es war super, es war wahnsinnig viel los vor allem. Viele Leute. Tausend.
Joy: Die Bühne war ein bisschen zu hoch. Den Abstand zum Publikum hat man gespürt. Das waren ja so 5 Meter. Es ist immer schöner, wenn wir direkt am Publikum dran sind, aber dadurch hatten wir auch Möglichkeiten, die Bühne auszuspielen und zu nutzen. Also, es hat Vorteile und Nachteile. Man spürt, dass die Leute weit weg sind, aber für das Gesamtbild der Show war das so wahrscheinlich besser.
Siegfried: Unser Gefühl ist vor allem anders als das Gefühl der Leute. Die Leute freuen sich, glaub ich, eher, dass sie uns gut sehen. Das ist für die Tricks auch ganz wichtig, da alles super visuell ist und alle ‘ne Gute Sicht haben sollen.
Joy: Aber gerade bei den Festivals ist das das große Thema. Wie sieht die Bühne aus? Wo spielen wir? Weil das immer anders ist. Da Zaubershows auf den Festivals, wo wir sind, meistens das erste Mal stattfinden, weiß auch niemand, wie sie am besten funktionieren und wo sie uns platzieren sollen. Das ist dann immer eine große Überraschung, wie es dann am Ende aussieht. Aber irgendwie kriegen wir’s immer hin. So wie heute!
Wo du es gerade quasi ansprichst: Festival, Fernsehen, Straßenshow, Theater? Was ist so euer Favorit unter den Locations?
Siegfried: Es kommt so ein bisschen drauf an, wir haben ja immer so Phasen. Jetzt im Sommer spielen wir eigentlich nur auf Festivals oder auf Straßenfesten. Es hat halt alles Vor- und Nachteile. Im Theater können wir Sachen inszenieren mit Licht und Ton, den Fokus ganz anders setzen und eine ganz andere Wirkung in die Tricks reinbringen, aber auf Festivals sind genau die Leute, die wir wollen. Das Publikum ist einfach toll und es ist Open Air und generell macht der Spirit auf Festivals natürlich Spaß. Auf Straßenshows gewinnt man die Leute wieder ganz anders, weil sie dann stehen bleiben, sitzen bleiben, obwohl sie vielleicht gar nicht wegen einem selbst da sind.
Joy: Generell würden wir im Sommer auch keine Theatershows spielen. Von daher ist es perfekt, weil wir jetzt Festivals spielen, bei denen meistens viel mehr Leute zuschauen als bei unseren Theatershows. Und wir spielen nicht so lange und wir spielen zu guten Zeiten, sodass wir die Festivals selbst auch noch erleben können. Es ist für uns einfach ‘ne wundervolle Möglichkeit für die Theatershows Werbung zu machen und die haben dann wiederum eben ‘ne andere Intensität. Das kann man nicht miteinander vergleichen. Ich glaub, wenn wir Festivals spielen, freuen wir uns auf Theatershows und wenn wir Theatershows spielen, freuen wir uns auf Festivals, also freuen wir uns eigentlich auf alle Shows.
Siegfried: Insbesondere, wenn dann auch Festivalcrews zu Theatershows kommen. Das ist dann immer besonders schön, wenn dann auch so ein bisschen…
Joy: …Festivalstimmung transportiert wird.
Siegfried: Da kommen dann manchmal auch 10er Gruppen, die sich Kostüme anziehen und dann so ‘nen richtig geilen Themenabend draus machen.
Joy: Das Tolle ist, dass wir bei Festivals ein Publikum erreichen, das wir bei Theatershows nicht unbedingt erreichen. Theatershows werden halt beworben. Da kommt Stammpublikum vom Theater, da kommen Fans von uns und eben Leute, die interessiert sind an Zaubershows. Aber die kosten auch Geld – bei uns mittlerweile zwischen 12 und 20 Euro. Das wollen junge, hippe Leute oft nicht ausgeben. Und auf ‘nem Festival erreichen wir die halt, die freuen sich teilweise viel mehr, weil die sowas nicht erwarten. Die würden da nicht hingehen. Und wir überraschen die und spielen so mit der Erwartungshaltung der Leute. In der Theatershow wollen die Leute ‘ne Zaubershow, die wollen verzaubert werden, viele haben auch schon Zaubershows gesehen. Das heißt, die haben irgendwie einen Maßstab. Auf Festivals ist das ‘ne angenehme Abwechslung zu den ganzen Musik Shows, das heißt, das ist erstmal was Erfrischendes. Da können wir die nach und nach von uns und der Magie überzeugen. Und da entsteht meistens ‘ne Euphorie, die ganz besonders ist. Deshalb kann man das nicht so einfach beantworten. Wir mögen beides.
Das heißt, euch stört es gar nicht, dass ihr im Line-Up zwischen den musikalischen Acts so herausstecht? Wenn ich richtig verstehe ja eher im Gegenteil.
Siegfried: Ich fühl mich total wohl!
Joy: Ich fühl mich auch wohl. Man merkt es schon, klar, wir machen was anderes, aber wir finden das wie gesagt eher positiv. Es spielen heute irgendwie 15 Bands und es gibt eine Zaubershow und natürlich sticht man dann raus. Das tut auch den Leuten gut, ‘ne Abwechslung zu haben. Wir fügen uns schon ganz schön ein.
Welche Festivals besucht ihr denn selbst gern?
Siegfried: Ich geh privat gern auf die Fusion.
Joy: Ich geh auch privat seit 3 oder 4 Jahren eigentlich nur auf die Fusion. Dieses Jahr haben wir auch da gespielt, das war das schönste, weil’s einfach schön ist auf ‘nem Festival zu spielen, wo man selbst hingeht. Da wollten wir auch kein Geld haben, wir haben einfach gesagt, wir machen das und es war richtig schön.
Und wie habt ihr euch dann gefunden? Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Zauberei mit Comedy zu verbinden und wie hat das ganze angefangen?
Joy: Die Idee, Zauberei mit Comedy zu verbinden, ist nicht neu, die haben wir nicht erfunden.
Aber wir fanden, dass Zaubershows, wie sie klassischerweise sind, wie viele sie kennen, ein bisschen angestaubt sind, oft stocksteif und meistens einen komischen Humor haben.
Wir haben uns 2014 in einem ‘nem Zauberladen kennengelernt und dann angefangen, gemeinsam zu zaubern. Das war alles ganz spontan. Wir haben uns eigentlich nur getroffen, um uns auszutauschen und dann hatte ich irgendwann ‘nen Auftritt und hab gesagt: „Komm doch mal mit, lass uns mal zusammen was machen“. Vor dem Auftritt haben wir uns dann überlegt: Ich bin der Joy, weil mein Name Joy Leslie ist, dann heißen wir jetzt Siegfried und Joy. Wir hatten daran so viel gefallen, dass wir gesagt haben, dass wir das mal als ganze Show machen wollen. Auf dem Appletree Garden vor 2 Jahren hatten wir dann unseren ersten offiziellen Auftritt. Das war dann die Geburtsstunde.
Siegfried: Durch den Namen sind dann auch das ganze Konzept und die Art des Humors entstanden. Alles, was wir auf der Bühne mit Kostümen machen und mit Inszenierungen, die Plots, die wir setzen, der ganze Las Vegas-Aspekt – das hat uns einen relativ klaren Plot vorgegeben.
Eben weil ihr das Publikum so stark miteinbezieht, gibt es ja ein gewisses unvorhersehbares, unkalkulierbares Risiko. In der Show heute gab es ja z.B. auch Momente, wo die Leute, die mitgemacht haben, so ein bisschen die Pointe versaut oder einen Trick unterbrochen haben. Kam es euch auch so vor und wenn ja, wie geht ihr damit um?
Siegfried: Wenn ein Zuschauer nicht aktiv versucht, uns irgendwie zu sabotieren, dann ist das niemals der Fehler des Zuschauers. Das nehmen wir…
Joy: …auch nicht persönlich. Das Publikum hat nie Schuld, außer wenn die aktiv reinrufen, Tricks verraten oder sowas. Das nervt uns dann schon und dann probieren wir auch anders damit umzugehen.
Siegfried: Man muss das ja auch verstehen: Wenn jetzt ‘ne Person als Festivalbesucher hier ist und dann von 0 auf 100 auf einmal auf ‘ner Bühne steht vor 1000 Leuten… Dann hat man ‘ne Aufgabe. Das ist eine Stresssituation und da reagieren halt verschiedene Leute auch anders drauf. Manche fangen an, Witze zu machen, manche sind introvertiert, manche blühen dann auch total auf, manche sind einfach sehr, sehr nervös. Das müssen wir einfach wissen und da gehen wir auch damit um.
Joy: Auch wenn ein Trick nicht klappt. Wir haben mal einen Trick gemacht, der einfach nicht geklappt hat und was will man dann machen? Wir probieren das dann eher mit Humor zu nehmen, als Trübsal zu blasen.
Ihr habt also eigentlich kaum Angst davor, dass Jokes nicht zünden oder Tricks nicht funktionieren?
Siegfried: Mit Angst gehen wir da eigentlich gar nicht ran, nee. Im Gegenteil: Wenn wir neue Tricks haben, dann testen wir die schnell auf ‘ner Bühne in ‘ner Show aus. Es kann immer passieren, dass etwas schief geht oder auch das mal ein Joke nicht zündet, wie du sagst, aber das ist nicht schlimm.
Joy: Wir schreiben die Jokes auch nicht wirklich, wie Comedians. Bei uns ist das anders. Wir machen Sachen und wir merken, dass das lustig ist und dann machen wir das beim nächsten Mal wieder so. Wir sagen jetzt nicht: Wir probieren mal diese Line aus und wenn die dann lachen, finden wir’s gut.
Siegfried: Wir lassen eher Situationen zu und versuchen frei zu spielen.
Wir haben auch kein geschriebenes Skript oder sowas. Wir versuchen immer ein bisschen frei zu sein, immer ein paar Dinge ein bisschen anders zu machen.
Und da entstehen dann manchmal Sachen, die einfach erstaunlich gut funktionieren oder solche, die nicht so gut funktionieren. Wir werten die Show eigentlich danach immer noch aus und gucken, was wir am nächsten Tag oder bei der nächsten Show davon wieder mit reinnehmen können, wo gute Momente waren, wo nicht so gute Momente waren. Daraus bilden sich schnell witzige neue Nummern. Das heißt, das ist eher so ein Prozess, der dann passiert.
All die Situationen, in denen ihr z.B. gleichzeitig sprecht, die haben sich also irgendwann mal ergeben, weil ihr so ein eingespieltes Team seid?
Beide: Ja!
Joy: Und teilweise ist es mittlerweile total offensichtlich, dass wir zur gleichen Zeit sprechen.
Siegfried: Genau, das passiert manchmal intuitiv.
Gut, die Jokes übt ihr vorher also nicht, aber wie ist das mit neuen Tricks? Übt ihr bei denen dann so oft, dass ihr die im Schlaf könnt? Oder ist das eher so: Wir probieren das jetzt mal und dann klappt das schon.
Joy: Eigentlich nicht. Eigentlich proben wir eben auf Bühnen, weil es sehr schwer ist, Zauberei im Trockenen zu üben, weil man keine Reaktionen, kein Publikum hat. Das heißt, wir setzen uns ein bisschen damit auseinander und dann üben wir auf der Bühne, um ein bisschen zu wissen, wo die Momente sind, wo man dann ein bisschen Komik braucht, wo man Ruhe braucht, damit der Effekt richtig wirkt. So entwickelt sich dann meistens ein Trick, während wir spielen.
Siegfried: Alles was die Tricktechnik angeht, das muss natürlich geübt sein. Das muss auf jeden Fall passieren. Also, wir üben auch zu Hause und das sind auch teilweise sehr lange Prozesse. Das heißt dann aber nicht automatisch, dass das dann auf der Bühne auch funktioniert und vor Leuten gut ankommt.
Joy: Zum Beispiel macht Siegfried eine Kartenmanipulation in der Show und...
... das ist jahrelange Übung. Der hat mit 10 Jahren angefangen, das zu üben und das ist dann eben ‘ne Art von Kunst.
Aber wenn wir so einen Trick üben, wo die Tricktechnik jetzt nicht so schwer ist, wo man nicht so ein Handwerk braucht, um das auszuführen, sondern eher die Geschichte entscheidend ist, wie wir den aufbauen, wo der Moment kommt, wie der zu Ende geht, dann üben wir das halt live.
Gab es schonmal Momente vor Auftritten, in denen ihr einfach gar keinen Bock hattet, jetzt den Kasper zu machen oder der Entertainer zu sein? Wenn ja, was macht ihr dann? Pusht ihr euch gegenseitig?
Siegfried: Es gibt manchmal Situationen, wo das grundsätzliche Setting, also die Gegebenheiten für uns schwierig sind oder irgendwelche Absprachen nicht eingehalten wurden und man dann weiß, dass etwas bei der Technik nicht funktioniert. Das kann ein bisschen demotivieren. Aber eigentlich haben wir das in den zwei Jahren noch nie erlebt, dass wir direkt vor ‘ner Show waren und keinen Bock hatten oder so.
Joy: Vor allem nicht aus dem Grund, dass wir jetzt da rausgehen, die Show machen und eigentlich nicht in der Verfassung sind. Wir haben immer Bock auf die Show. Wir machen das in erster Linie aus Spaß, nicht aus finanzieller Not heraus. Wir legen uns das natürlich auch so, dass es irgendwie in ‘nem gewissen Rahmen ist. Wir gehen nicht drei Wochen am Stück auf Tour und spielen jeden Tag, dann würden wir wahrscheinlich auch nach der 2. Woche sagen: „Ey, warum machen wir das hier überhaupt?“ Oder wir würden nur noch funktionieren...
Siegfried: Es gab es eigentlich noch nie, dass wir mit schlechter Laune auf die Bühne gegangen sind.
Joy: Wenn, ist das eher so: Wenn man mal einen schlechten Tag hatte, dann ist es meistens der Moment, wo die Musik anläuft, wo wir rausgehen und anfangen zu tanzen, wo wir uns freispielen. Also, eher im Gegenteil – dass man das dann nutzt, um wieder besser drauf zu kommen.
Kurze Unterbrechung: Dirk Gieselmann, Journalist und Autor, kommt zufällig vorbei und setzt sich kurz zu uns. Er hat eben gerade eine Lesung gegeben.
Joy: Wie war deine Lesung? Dirk: Ihr habt mir die Leute weggezogen. Waren bei euch viele? Joy: Ja. Bei dir niemand? Dirk: 200 oder so. Joy: Ja? Ist doch super. Dirk: Ich bin zufrieden. Wir sehen uns nochmal.
Deine Meinung zu Siegfried und Joy:
Dirk: Die besten Zauberer, die ich je getroffen habe.
Ein zauberhafter Abschluss für dieses Interview, danke Dirk.
Famous last words?
Siegfried: Feel the magic, enjoy the show!
Außerplanmäßig kann ich die beiden Zauberer noch den restlichen Tag über begleiten. Ich darf mitansehen, wie sie mit ihren Outfits die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich ziehen und die Kleinen mit unterschiedlichen Tricks völlig verzaubern. Ich werde zudem eingeladen, bei einem anderen Interview zweier Studentinnen für ein Campus Radio dabei zu sein und merke auch hier, dass Siegfried & Joy nichts, niemanden und vor allem sich selbst nicht zu ernst nehmen.
Ich nehme mir vor, in Momenten, wo die Ernsthaftigkeit zu siegen scheint, an diesen Tag zu denken. An Spaß und Freude, an Pailletten und Tiger-Schnauzen. An Siegfried & Joy.
Der Tag mit dem Magier-Duo endet, wie er begonnen hat – mit Magie in der Luft.