text Jonas Rogge
fotos Johannes Niekrens & Jonas Rogge
Dänemarks größtes Metal-Festival nimmt für ein Wochenende im Jahr eine Hafeninsel der Hauptstadt Kopenhagen ein. Für mich, den Autor, sind das zwei neue Erfahrungen – erstens Metal-, zweitens Stadtfestival. Werden die Metalheads ihrem Klischee gerecht? Sind die Leute hier wirklich alle nett? Und fühlt sich das gut an, wenn man aus dem Moshpit in sein aufgeräumtes Hotelzimmer zurückkehrt? Um nicht nur auf meine eigenen Verallgemeinerungen bauen zu können, haben wir uns mit einigen Besucherinnen darüber unterhalten, wie sie das wahrnehmen, ein Metal-Festival in der Stadt.
Dieses Jahr wurden für das Copenhell 28.000 Tickets verkauft, im Gründungsjahr 2010 waren es noch um die 4.000. Mit der Entwicklung des Roskilde zu einem (fast) alle Genre umfassenden Festival entstand in Dänemark der Raum für ein reines Rock-Festival. Live Nation hat diesen Raum genutzt und eines der wichtigsten Metal-Festivals Europas aufgebaut. Tool haben dieses Jahr eben nicht auf dem Roskilde gespielt, sondern auf dem Copenhell. Das Line-Up bietet eine bunte Mischung verschiedener Metal-Subgenres, mit ein bisschen Punk und Hardore. Als ausgewiesener
Non-Metalhead, aber aufgeschlossener Konzertbesucher habe ich mich darauf gefreut, auf ein Festival zu fahren, auf dem ich keine Pflichttermine habe und kaum eine Band kenne. Aus dem Zentrum Kopenhagens fährt man etwa
30 Minuten mit dem Fahrrad. Da genau eine Strasse zum Eingang des Festivals führt, ist die Anreise mit dem Rad sehr ratsam. Alternativ wird ein Shuttlebus angeboten, der oft im Stau steht und die Nummer '666' trägt – cool.
Festivalfeeling in der Großstadt?
Auf den ersten Blick deutet auf dem Gelände nur das Vorkommen großer Fabrikgebäude auf die Nähe zur Stadt hin. Das Gelände liegt ausgesetzt am Meer auf der Hafeninsel Refshaleøen. Dieser Ort war einst Heimat einer großen Schiffswerft und Industriegebiet. Heute ist er hippes Ausflugsziel und bietet Foodcourt, Antik-Trödel, Kletter-, Skatehalle und mehr. Was eigentlich nach einer sehr romantischen Location klingt, bedeutet für das Festivalgelände große Betonflächen, umrandet von Industriehallen. Dazwischen einstimmig schwarz gehaltene Buden und die 3 Bühnen.
Aufgebrochen wird diese etwas triste Umgebung im 'Udgard', einem schlauchförmigen, verwinkelten Pfad durch einen kleinen Wald, der Sitzgelegenheiten und kleine Stände mit Essen, Kunsthandwerk und Metalfolklore anbietet. Es ist ruhig, es gibt ein Lagerfeuer. Hier hat sich das Copenhell Mühe gegeben, einen Ort zu schaffen, an dem ein Festivalfeeling aufkommt. Das nistet ja meistens in den Momenten zwischen den Konzerten, in dem Umstand, dass man vor oder nach einem Konzert nicht das Gelände verlässt. Dort treffen wir Sophie und Christine, die hier eine Verschnaufpause machen und von ihrem Festival berichten. Die beiden sind Schwestern und aus Slagelse, eine Autostunde entfernt von Kopenhagen angereist.
Wo schlaft ihr während des Festivals?
Sophie: Wir campen auf dem weiter entfernten Zeltplatz. (Das Copenhell bietet 2 Campingplätze an, einen direkt neben dem Festivalgelände, einen anderen in 2.5km Entfernung, Tickets sind begrenzt, Anm. der Red.)
Wolltet ihr eigentlich auf den anderen Zeltplatz?
S: Wir haben versucht auf den Zeltplatz hier zu kommen, aber die Tickets sind so schnell ausverkauft. Das ist das erste Jahr, in dem es überhaupt einen zweiten Zeltplatz gibt.
Besucht ihr viele Festivals?
S: Ich war schon oft beim Roskilde, bestimmt 7-mal. Und das Copenhell eben.
Was ist das Besondere an einem Metal-Festival, z.B. im Vergleich zum Roskilde?
Christine: Ich finde, die Leute sind viel netter hier. Beim Roskilde sind viele junge Schüler, es geht immer ums Trinken.
S: Und um Drogen, viele Drogen auf dem Roskilde.
C: Die Leute sind laut und gemein. S: Und respektlos. Hier respektiert man sich gegenseitig, weil alle irgendwie im selben Boot sitzen, glaube ich. Alle sehen ähnlich aus, hören die gleiche Musik und...
C: Es ist eine große Gemeinschaft.
S: Die Leute kümmern sich darum, dass alle eine gute Zeit haben. Das ist selten, denke ich.
Uns ist aufgefallen, dass hier ein sehr großer Anteil der Besucher*innen männlich ist. Fühlt sich das merkwürdig an?
C: Nein, gar nicht. Die Männer sind sehr süß.
S: Und sehr hilfsbereit. Wenn sich mal ein Mann respektlos verhält, ist fast immer ein anderer in der Nähe, der hilft und sich gegen diese Person stellt. Es ist tatsächlich ein sehr angenehmes Umfeld.
Wie viel Zeit verbringt ihr beim Festival?
S: Am ersten Tag haben wir uns einen schlimmen Sonnenbrand geholt und mussten früh ins Bett. Wir waren total dehydriert und fertig. Deshalb haben wir gestern viel geschlafen und waren erst um 18 Uhr hier, sind aber bis 3 Uhr morgens geblieben.
Wie kommt ihr zum Festivalgelände?
S: Mit den Shuttlebussen. Unser Zeltplatz ist 2,5km entfernt. Das kann man schon laufen, aber es ist gut, die Busse zu haben, besonders wenn man ein bisschen getrunken hat.
Was ist der größte Vorteil und was ist der größte Nachteil an einem Festival in einer Stadt?
C: Ich denke das größte Problem ist, dass sie versuchen zu expandieren. Das Festival wächst, es ist aber schwierig dem logistisch gerecht zu werden, weil wir hier mitten in Kopenhagen sind. Das ist schade. Das Gute ist, dass es leichter ist, das Festival mit den Öffentlichen zu erreichen. Man muss nicht mit dem Auto anreisen oder sich mit vielen Leuten in einen kleinen Bus zwängen. Es gibt mehr Möglichkeiten hier hinzukommen.
S: Ich denke auch, dass die einfache Anreise ein Vorteil ist. Es ist aber ein Problem, dass nur eine Straße zum Gelände führt. Das bedeutet, dass es lange Staus gibt, wenn alle zur gleichen Zeit kommen. Im Auto oder Bus muss man also Geduld haben. Wobei im Bus eigentlich immer eine lustige Atmosphäre ist, es wird getrunken, man unterhält sich und die Zeit vergeht schnell. Außerdem gefällt mir, dass hier, obwohl wir in einer Großstadt sind, noch viel Natur ist.
Metal und brachiale Zerstörung - das passt.
Der weitere Spaziergang führt uns, ich bin mit meinem Freund und Metalhead Johannes unterwegs, ins Slumberland, einer Art Erlebnispark für extreme Aktivitäten. Dort gibt es eine Bühne mit Schmerz-Artisten und eine Bauzaun-Arena, in der die dänischen Zerstörungs-Meisterschaften abgehalten werden. Wir sind gerade rechtzeitig, das nächste Match steht an. Der Schauplatz wird in dichte Rauchschwaden getaucht, Gabelstapler befördern zwei alte Autos in die Arena. Anschließend treten zwei Teams aus dem Nebel hervor, die darin konkurrieren werden, die Autos mit riesigen Metallhämmern und -äxten ordentlich zu ramponieren. Metal und brachiale Zerstörung – das passt. Auf der einen Seite, auf der anderen Seite herrscht das Klischee, dass die Metalgemeinde besonders inklusiv und freundlich ist. Für uns bestätigt sich dieser Eindruck. Alle, die wir während des Festivals ansprechen, sind aufgeschlossen und ausgesprochen gut gelaunt, man kommt leicht ins Gespräch. Das Martialische, die Bärte, Verkleidungen und die körperliche Härte, beim Autos zerkloppen oder im Moshpit, finden im Spiel statt. Ich erlebe diese Inszenierung als selbstironisch, nicht aggressiv oder verbissen.
Trotzdem ist es eine betont maskuline Kultur. Es wäre eine Recherche für sich wert, herauszufinden, wie man als nicht-männliche Person seinen Platz in der Metal-Gemeinde findet. Auf dem Copenhell liegt der Anteil männlicher Besucher bei schätzungsweise 80%. Ist das szeneintern ein Thema?
On Stage: Toxische Maskulinität
Für den Sänger der Punk-Band Refused auf jeden Fall. Zwischen zwei Songs hält er ein 5-minütiges Statement ab, über "toxische Maskulinität", die es nicht-männlichen Acts erschwert, den Weg auf diese Bühne zu finden. Er habe im Backstage angefangen, die Anzahl weiblicher Musikerinnen beim Copenhell zu zählen und sei auf ein Verhältnis von 6 zu 100 gekommen. Das sei nicht zu rechtfertigen und die Männer müssten das Problem bei sich selber suchen, so Frontsänger Dennis Lyxzén, der für ausgiebige politische Statements bei seinen Konzerten bekannt ist.
Neben uns steht ein betrunkener Mann um die 50 im Schwedentrikot. Er hebt den Mittelfinger und röchelt ein „fucking pussy!“. Er droht unter dem Gewicht seines erhobenen Armes nach hinten zu kippen, senkt den Arm und wartet schwankend auf den nächsten Song.
Die beiden Volunteers, die wir später vor der Skatehalle treffen, sehen in dem Geschlechterverhältnis auf den Bühnen kein Problem. Marie meint, dass man keine Frauen buchen sollte, nur weil sie Frauen sind. „Wenn sie schlechte Musik machen, sollen sie nicht spielen. Das ist einfach so. Die Bands, die berühmt sind, sind halt berühmt und es macht keinen Sinn unbekannte Bands zu buchen. Das fände ich komisch.“ Marie und Anna kommen beide aus Kopenhagen. Sie bewachen den Eingang zur Skatehalle. Dort gibt es dieses Jahr eine extra Bar, man kann Leuten beim Skaten der großen Bowl zusehen und es gibt Copenhell-Kühlschränke zu gewinnen.
Worauf habt ihr euch beim Copenhell am meisten gefreut?
Marie: Wir sind nicht wegen einer bestimmten Band hier. Wir kennen gar nicht so viele der Bands, aber es gefällt uns, zu den Konzerten zu gehen. 'While She Sleeps' wollte ich sehr gerne sehen, aber das haben wir verpasst.
Weil ihr gearbeitet habt?
M: Nein, wegen der Busse. Wir waren erst zum letzten Song hier.
Ist das der größte Nachteil an einem Festival in der Stadt?
Anna: Ja, das schlimmste ist, hier herzukommen.
M: Und Konzerte zu verpassen, weil man hin- und herfahren muss.
Was ist der größte Vorteil eines Stadtfestivals?
A: Es ist großartig, dass man zu Hause schlafen kann.
M: Ja, das ist sehr schön. Auch, weil man nicht für das Camping bezahlen muss. Es ist ja verständlich, dass es etwas kostet, weil nur begrenzt Platz hier ist. Aber ich genieße es schon, nach Hause zu fahren, eine Dusche zu nehmen und wieder erfrischt zurückzukommen.
Wie viel Zeit verbringt ihr hier beim Festival?
A: Wir kommen immer so gegen 14 Uhr an. Außer an dem Tag, an dem wir früher angefangen haben zu arbeiten. Ansonsten so von 14 Uhr, bis wir betrunken genug sind, um nach Hause zu fahren.
M: Eher zu betrunken, um hier zu bleiben.
Seid ihr zum ersten Mal hier?
A: Ja.
M: Zum zweiten Mal.
Was meint ihr ist das Besondere an einem Metal-Festival?
M: Die Atmosphäre ist 'fucking awesome'.
A: Die Crowd ist viel netter. Ruhiger, zumindest, wenn sie nicht vor der Bühne sind. Alle sind ganz gemütlich. Es gibt keine Schlangen an den Toiletten, es sind ja vor allem Männer hier.
Fühlt ihr euch wohl mit diesem hohen Männeranteil hier?
A: Ja, besonders, weil der Altersdurchschnitt etwas höher ist.
M: Ich fühle mich hier viel sicherer als beim Roskilde. Ich glaube hier gibt es gar keine Schlägereien oder Vergewaltigungen.
A: Es ist ein erwachseneres Festival.
Eine Umarmung des Klischees
Man merkt, dass das Copenhell Stadtfestival ist und viele der Besucher*innen nicht hier campen. Sie wirken irgendwie frischer, vermitteln eher das Gefühl von Konzertpublikum, als von Menschen, die seit Tagen in der Sonne sitzen, warmes Bier trinken und kaltes Dosenfutter essen. Die Leute lassen sich weniger gehen. Ein Stadtfestival bedeutet weniger Abstand zur Alltagswelt, als ihn die Abgeschiedenheit des Ackers schafft. Es bietet die Möglichkeit, eine neue Stadt kennenzulernen und dabei jeden Tag gute Konzerte zu sehen.
Zuvor war ich noch nie auf einem Metalfestival. Welche Vorurteile haben sich bestätigt? Hoher Männeranteil, check. Überall Menschen, die Kutten mit Aufnähern tragen, check. Alle machen dieses Metal-Zeichen mit der Hand, check.
Im "Biergarten", einem großen Zelt voller Bierbänke, tanzen die Metaller zu Genreklassikern auf den Tischen. Niemand scheint sich hier an den Klischees zu stören, sie werden vielmehr zelebriert. Gleichzeitig mischen sich allerlei Leute unter das Publikum, die überhaupt nicht 'metal' aussehen. Wie Außenstehende wirken sie deshalb nicht. Ich habe das alles noch nicht ganz verstanden, aber mein Interesse ist geweckt.