Wie schafft man ein einen Ort, der Widersprüche überwindet und Grenzen abbaut? Einen Raum, für die "Post-Festival" Generation, der das ganze Jahr über besteht? Und wie ist das alles möglich in einer so wilden Zeit?
text & interview Dominik Schabel
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Paula G. Vidal, Danilo Rößger
lesezeit 6 Minuten
Im zweiten Teil berichtet Alex Dettke von der Wilden Möhre über das Projekt "Wilde Zukunft" und darüber, was das Team aus den Pandemie-Jahren gelernt hat.
Wenn ihr mehr über das Festival an sich, das Konzept und die Ideen dahinter erfahren wollt, geht's hier zu Teil 1.
Kannst du ein bisschen was über das Projekt „Wilde Zukunft“ erzählen?
Ja, kurz der Vollständigkeit halber: Von den 19 Millionen, die wir als Gesamt-Fördersumme bekommen haben, gehen fünf ins Festival, das ist natürlich auch sehr schön für die Gäste, weil das heißt, dass wir mit dem Geld natürlich auch neue Bühnen, neue Flächen und so bauen.
Das andere ist mit 14 Millionen Euro die alte Ziegelei in Muckwar, das ist ein krasses Gelände. Ich habe das 2018 gekauft, weil da eigentlich die letzte wilde Möhre war und alles vorbei und wir uns die Frage gestellt haben, wie es weitergeht. Und dann bin ich auf dieses Gelände gestoßen und habe mich finanziell verschuldet, um das zu kaufen, weil ich an die Sache geglaubt habe und dachte, es muss irgendwie weitergehen.
Ich bin mittlerweile 34, das Festival haben wir gegründet, da war ich 25. Zu der Zeit war ich in einer anderen Lebensphase. Heute bin ich viel am Arbeiten.
Das Leben ist aufreibend, es gibt Probleme und dann fehlen diese Orte, die man hatte, als man jünger war, in denen man freier war.
Als ich studiert habe, war es irgendwie anders – wir waren auf Festivals und alles war gut. In den 30ern finde ich diese Orte nicht mehr und deswegen haben wir gesagt, wir wollen einen Urlaubsort schaffen. Es soll ein Ort geben, an dem ich mein Projekt verfolgen kann oder mit meinem Team zusammen sein, an dem ich mich zurückziehen kann, in die Sauna gehen oder einen Workshop besuchen, eine Fahrradtour machen oder ein Theaterstück sehen, aber wo man auch Widersprüche auflöst, die man sonst im Alltag hat. Also im Grunde, ein Ort wo die Post-Festival Generation alles findet, was ihr Herz begehrt. Wenn uns das gelingt, dann wird das ein ziemlich magischer Ort werden.
Du hast gesagt, es geht darum, Widersprüche aufzulösen. Es gibt in der Doku über die Ziegelei eine sehr interessante Szene. Darin erzählt Landwirt Frank Trogisch, dass während einer von euren Veranstaltungen dort, viele Vegetarier*innen zu ihn gekommen sind, nachdem er ihnen erklärt hatte, wie seine Tierzucht aufgebaut ist, und eine Bratwurst bei ihm gegessen haben.
Was würdet ihr sagen, inwiefern gehört es zu eurer Arbeit mit der Kultur und dem Leben auf dem Land zusammenzuarbeiten?
Also dazu kann man sagen, dass die Lausitz, in der wir sind, eine Gegend ist, die sich konstant wandelt. Diese Gegend musste schlimme Dinge erfahren – hier wurden Existenzen zerstört, Dörfer komplett weggebaggert, dafür dass es hier Kohle gibt. Danach gab es auch eine sehr stolze Zeit, weil man der Energielieferant der Nation war. Und jetzt, in einer Zeit, in der das total verschrien ist, fühlen sich die Menschen dort schlecht oder nicht gesehen und das macht natürlich etwas. Gleichzeitig sind wir hier im Osten Deutschlands, auch die Wende spielt eine Rolle und dann hat man natürlich auch Konflikte zwischen Land und Stadt.
Das ist natürlich nicht gesund, so kann Gesellschaft nicht erfolgreich zusammenarbeiten und ein demokratisches System nicht funktionieren.
Es gibt eine schönes buddhistisches Sprichwort: „Steter Tropfen höhlt den Stein“ – ich finde wir müssen als Gesellschaft oder als Menschen einfach freundlich bleiben und uns daran erinnern, dass wir alle eine Geschichte teilen. Jeder hat ein Lebensweg gehabt und am Ende wollen alle Menschen das Gleiche und das ist Frieden und Freundschaft. Man muss einfach sehr geduldig sein, aber das gilt sowohl für Städter, wie für Leute vom Land.
Dann kommen wir mal zum nächsten Thema: Corona. Was ich total inspirierend fand war, dass ihr trotz der Hochphase der Pandemie in 2020 & 2021 etwas auf die Beine stellen konntet. Wer war die treibende Kraft hinter der Entscheidung "Wir machen das trotzdem“?
Das waren wir als Team. Ein Teil der Wahrheit ist: Wir schaffen diese Utopie auf dem Festival, aber auch in unserer Arbeitswelt. Wir gestalten unseren Arbeitsalltag, so wie wir es wollen. Deswegen haben wir natürlich überlegt, was wir stattdessen machen und haben uns der Situation einfach angepasst. Wir haben sehr viele Konzepte entwickelt, von Campingurlaub bis zur Kulturveranstaltung und dann war irgendwann klar: Festivals gehen doch – in kleiner Größe.
Gab es noch eine andere Motivation, das Festival durchzuziehen?
Ja, dass wir das Festival machen, weil wir eine gesellschaftliche Verantwortung spüren, so ist es ja auch inhaltlich gebaut und da finde ich, ist es Teil der gesellschaftlichen Verantwortung Lebensfreude auch in Krisenzeiten nicht unter den Teppich zu kehren, sondern sich zu fragen, wie kann ich das dennoch möglich machen - in einem geschützten Raum ein Ort aufzubauen, der auch unter pandemischen Bedingungen stattfinden kann.
Was würdet ihr sagen, was ihr während der Pandemie gelernt habt?
Vieles über Hygiene *lacht*. Auch über Ängste.
Was ich am spannendste finde, ist, dass wir gelernt haben uns zu öffnen.
Um in der Pandemie veranstalten zu dürfen, muss man sich gegenüber Behörden und Politik ganz stark transparent machen und man dachte ja immer, dass das etwas schlechtes ist. Die Wahrheit ist aber, dass es viele Menschen gibt, die sehr viel Sympathie für uns haben. Also in den Behörden und in der Politik. Meine Erfahrung war, dass Behörden durchaus bereit dazu sind, mit einem zu arbeiten, zum Beispiel das Gesundheitsamt in Spree – Neiße. Wir entwickeln uns Hand in Hand mit den lokalen Ordnungsbehörden.
Ich finde es gut, dass man miteinander im Dialog steht und die Dinge, die auf einem Festival passieren, die passieren halt, auch das ist Teil der Wahrheit, auch das ist Gesellschaft. Man muss einfach akzeptieren, in was für einer Welt wir leben und was Menschen brauchen und dann kann man da auch einiges daraus lernen.
Eine letzte Frage fällt mir doch noch ein: Was wünschst du dir dieses Jahr vom Festival?
Ui. Ja, das ist interessant, ob ich das noch als Wunsch formulieren kann, weil es ja doch schon eingetreten ist. Für mich ist es kein leichter Weg gewesen.
Die Idee diesen Ort hier zu erschaffen, was ja auch irgendwie mit mir als Mensch zu tun hat, zu sehen, dass das übernommen wird, aufgesaugt wird, dass es andere nehmen und auch noch besser machen, dass ist ja eine wahnsinnige Erfahrung – wahnsinnig schön. Das ist mein Wunsch, der sich erfüllt hat und da bin ich den Leuten enorm dankbar.
Das wissen die Leute vielleicht gar nicht, weil ich Schwierigkeiten habe, es ihnen zu sagen, weil es einfach viele belastende Dinge gibt, aber es ist schön, dass ich da mitten im Prozess bin.
Ja! Es ist ein guter Ort geworden – ich kann echt froh sein.