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Emotionen sind wichtiger als Zahlen:

Interview mit Stefan Kasseckert vom Trebur Open Air


 
 

interview Johannes Jacobi
fotos Sascha Idstein & Mario Andreya

Seit 1993 schon organisiert die Gemeinde Trebur in Kooperation mit dem Kulturverein Trebur e.V. das Trebur Open Air. Statt Größenwahn gibt es familiäre Atmosphäre, Spaß im Freibad, Sonnenschein und ein spannendes Line-Up. Dieses Gesamtpaket zieht mittlerweile bis zu 7.000 Besucher und wird von 200 Helfern getragen. Wir wollten mehr wissen und haben mit dem Veranstalter Stefan Kasseckert gesprochen.

 

Hallo Stefan, danke dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst.
Das Trebur Open Air findet dieses Jahr zum 24. Mal statt. Warst du von Anfang an dabei?

Nein, die Anfänge lagen vor meiner Zeit in Trebur. Ich war zwar beim zweiten TOA schon mal als Besucher dabei, so richtig eingestiegen bin ich aber erst ab 1998.

Wenn du das erste Trebur Open Air mit dem von 2015 vergleichst, was ist heute noch so wie damals und was ist inzwischen ganz anders?
Es ist immer noch das Team, das im Vordergrund steht. Ein gutes Dutzend ist auch schon von Anfang an dabei und ihre Erfahrungen sind unersetzbar. Trotz der 24 Jahre sind wir immer noch ein kleines, gemütliches und familiäres Festival und haben das Bestreben ein „großes“ Festival zu sein schon früh ad acta gelegt. Wir versuchen jedes Jahr aufs Neue, den status quo zu sichern und uns punktuell zu verbessern. Scheinbar funktioniert das ganz gut. Größenwahn und finanzielles Vabanque sind jedenfalls nicht so unser Ding. Einer meiner Mitstreiter hat mal den Satz „Emotionen sind wichtiger als Zahlen“ eingebracht. Das mag zwar wie eine Ausrede klingen, ist aber mittlerweile unser Leitbild.

Größenwahn und finanzielles Vabanquesind jedenfalls nicht so unser Ding.

In all den Jahren habt ihr sicherlich viele tolle Geschichten gesammelt. Gibt es eine Begebenheit die heraussticht und die immer wieder erzählt wird, weil sie so verrückt, schön oder unangenehm war?
Eigentlich sind es immer wieder die Geschichten, die passieren, wenn man mit Freunden mehr als eine Woche Tag und Nacht zusammen hängt. Das lässt sich für Außenstehende allerdings meistens schlecht unterhaltsam wieder geben. Dauerbrenner momentan ist aber die Geschichte, wie ich im letzten Jahr die traditionelle Ansprache vor dem Samstagsheadliner „vergessen“ habe und mein Team fast geschlossen auf der Hauptbühne die Situation ohne mich meistern musste. Sie haben dann speziell für mich den „Strafpurzelbaum“ eingeführt, den ich bis zum Ende des Festivals bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder und wieder vorführen musste – und das in meinem Alter.

Gibt es so was wie die dümmste Entscheidung die im Bezug auf das Festival jemals getroffen wurde und aus der am Ende viel gelernt wurde?
Da ich auch für das Booking verantwortlich bin, ärgere ich mich schon gelegentlich darüber, dass ich Bands NICHT gebucht habe, die dann zum Festival groß draußen waren und später nicht mehr bezahlbar waren. Aber, ehrlich gesagt, konnte ich in den vielen Jahren jeder Sache, die vielleicht nicht so gut lief, noch etwas Positives abgewinnen und Etwas daraus lernen. Ich bin auch viel zu sehr Optimist, als das mich das runter ziehen würde. Am Ende des Festivals überwiegen in der Regel die Glückshormone.

Ab einem gewissen Gagenlevelsind wir raus.

Wenn ein Festival so lange so gut läuft, dann kann ich mir vorstellen dass man gern mal übermütig wird und man vielleicht damit liebäugelt mal einen Headliner zu buchen der über dem Budget liegt. Hattet ihr solche Situationen?
Ganz klar: NEIN. Ich glaube, wir können unsere Möglichkeiten realistisch einschätzen. Ab einem gewissen Gagenlevel sind wir raus. Die Entwicklung der letzten Jahre bereitet mir da auch Bauchschmerzen. Mir ist auch ein spannendes Line-Up von vorne bis hinten wichtiger, als der allmächtige Headliner, der alles überschattet. Ich glaube, dass unser Publikum das weiß und schätzt. Die Resonanzen zeigen uns auch, dass es manchmal auch die 19 Uhr-Band ist, die vorher kaum einer kannte und dann bei der Endabrechnung als der „heimliche Headliner“ gehandelt wird.


Wie schaffst du es, das Festival für dich selbst, nach all den Jahren noch spannend zu gestalten?
Mittlerweile habe ich auf dem Festival so viele Menschen kennen lernen dürfen, dass ich mich immer wieder wie verrückt darauf freue, sie alle im Sommer wieder zu treffen. Auch die Zeit von Auf- und Abbau sind wie eine Mischung aus Ferienlager und Klassentreffen. Auch hier zitiere ich gerne einen meiner Kollegen: „ein Festival von Freunden, mit Freunden und für Freunde“.

Wie viele Leute sind im Vorab an der Planung beteiligt, was kannst du uns über euer Team erzählen?
Wir haben das Glück, dass die meisten unseres Teams aus Trebur und Umgebung sind, trotzdem kommunizieren wir auch über alle sozialen Medien miteinander. Der harte Kern besteht aus etwa einem Dutzend Leuten, von Anfang 20 bis um die 40, Männer wie auch Frauen. Während des Festivals sind wir dann aber knapp 200 Leute, die alle zum Team gehören. Die Hierarchien sind relativ flach und wer sich einbringen will, hat schnell die Chance auch in Leitungspositionen rein zu rutschen. Bei uns gibt es weder bezahlte Teamleiter noch rechtelose „volunteers“.

Bei uns gibt es weder bezahlte Teamleiternoch rechtelose „volunteers“.

Ein zugkräftiges Line-Up zu basteln ist ja eine Kunst für sich und kann schnell mal in die Hose gehen. Wie geht ihr vor und wer ist bei der Zusammenstellung beteiligt?
Vor einigen Jahren saßen wir noch mit 15 Leuten zusammen, haben uns wöchentlich Bands angehört und dann basisdemokratisch abgestimmt. Das war aber extrem stressig und zeitaufwändig und es gab viele Reibungsverluste. Mittlerweile sind wir zu fünft, bewusst mit fünf verschiedenen Musikgeschmäckern, beiderlei Geschlechts und mit ordentlicher Altersspanne – wie auch unser Publikum.

Bei manchen Acts dauert es ja ein paar Jahre bis man genug Überzeugungsarbeit geleistet hat und alle Umstände passen damit es am Ende mit dem Booking klappt. Gibt es bei euch auch solche Beispiele?
Ganz aktuell: Mother Tongue aus Kanada, eine der besten Livebands des Planeten. Mein E-Mail-Verkehr mit dem Booker lässt sich bis 2008 zurück verfolgen, zwischenzeitlich hatte die Band sich aufgelöst, danach lag es dann daran, dass einer aus der Band keinen Urlaub bekam. Dieses Jahr ist es jetzt fix. Der Stellenwert der Band ist zwar jetzt nicht mehr so hoch wie noch vor einigen Jahren, ich bin mir aber sicher, dass sie absolut einschlagen werden und neue Fans gewinnen.

Gibt es Gründe auch unabhängig vom Line-Up aufs Trebur Open Air zu kommen?
Ich kann hier nur aus dem Besucher-Feedback zitieren: die familiäre Atmosphäre, das zum Festival dazu gehörige Freibad, die kurzen Wege, die Wettersicherheit im hessischen Ried, die uns noch nie im Stich gelassen hat und die Tatsache, dass man immer spannende Newcomer entdecken kann. Viele unserer Stammbesucher freuen sich auch ganz besonders immer wieder auf unsere „Festivalband“ elfmorgen, die seit vielen Jahren Headliner der kleinen Bühne am Sonntag sind und die Menge jedes Mal wieder aufs Neue begeistert.

Besuchst du selbst auch andere Festivals? Wenn ja, welche stehen dieses Jahr auf dem Plan?
Ganz besonders engen Kontakt hat man natürlich zu den Kollegen im näheren Umkreis. In Südhessen bzw. im Rhein-Main-Gebiet gibt es eine recht hohe Festivaldichte und mit dem Besuch der Veranstaltungen vor der Haustür ist man im Sommer schon fast ausgelastet. Das Soundgarden in Bad Nauheim, das Karben Open Air und das Traffic Jam sind mit ÖPNV oder auch Fahrrad gut erreichbar. Maifeld Derby, Sound of the Forest und Nonstock im Odenwald sind auch fast um die Ecke und man pflegt herzliche Kontakte. Leider sind das Phono Pop in Rüsselsheim und das Folklore in Wiesbaden nicht mehr auf der Festivallandkarte vertreten. Darüber hinaus bestehen auch enge Kontakte zu gleichartigen Festivals in ganz Deutschland, vor allem, wenn sie auch am gleichen Wochenende stattfinden. Gerade im Bereich Booking arbeitet man da auch ganzjährig zusammen. Insbesondere zu den Kollegen vom Rocken am Brocken hat sich dort im Lauf der Jahre eine Freundschaft entwickelt, die auch bei vielen persönlichen Treffen gewachsen ist. Ein gegenseitiger Besuch ist aber leider aufgrund des Termins nicht möglich.

Vielen Dank für deine Zeit. Gibt es noch etwas, das du den Leuten sagen möchtest, die gerade überlegen ob sie euch mal besuchen sollen?
Jeder, der uns besucht und eine ausgedruckte Version dieses Artikels vorlegt, bekommt einen, bei uns im Hessischen obligatorischen, Festival-Haselnussschnaps von mir ausgegeben. Wir sehen uns dann vom 29.- 31. Juli

Alle Infos zum Trebur Open Air gibt es hier: treburopenair.de
Folgt dem Trebur Open Air auf FB: facebook.com/treburopenair