Jedes Jahr im Mai wird in Hamburg der Hafen gefeiert. Ein ausbeuterisches, kapitalistisches Fest, finden viele, und finden sich deshalb im Rücken des Fests zusammen: beim Alternativen Hafengeburtstag. Was das eigentlich ist und wer das so macht, finden wir bei einem Besuch heraus.
text & fotos Leonie Ruhland
An den Hamburger Landungsbrücken herrscht reger Verkehr. Kleine Bootchen tummeln sich neben Fähren, ein Piratensegler neben einem dicken, grauen Marineschiff. Kurz erschrecke ich von einem langen, lauten Dröhnen: die Aida fährt mit ihrem gespitzten Kussmund einmal quer durch den Hafen. Vor der von Sonnenstrahlen leuchtenden Elbphilarmonie fahren so viele Boote im Wasser kreuz und quer, wie es nur an einem Wochenende im Jahr zu sehen ist.
Es ist ein Freitagnachmittag Anfang Mai. Der alljährliche Hamburger Hafengeburtstag hat begonnen. Die Sonne knallt auf Menschen in Jeans und Karohemd, in Shorts und Hoodie. Es ist einer der wenigen warmen Tage in diesem Frühling, doch der hanseatische Nordwind weht noch frisch um die Ohren. Am Hafenufer schallt Schlager oder Popmusik von Ständen, die entlang der Landungsbrücken beinahe nahtlos aneinander gereiht zu Bratwurst und Bier einladen. Kinder fahren auf einem Karussell und junge Pärchen mit Aperol-Spritz in der Hand schießen sich gegenseitig Plüschtiere an Kirmesbuden. Es riecht nach gebratenen Mandeln und Zuckerwatte. Die Stimmung ist ausgelassen, der Alkohol fließt bereits seit Stunden, an einem Currywurststand tanzen die ersten auf den Bierbänken. Überall werden Smartphones gezückt, die das Geschehen für die Ewigkeit im Netz platzieren werden.
Ein bisschen weiter gen Westen, am alten Elbtunnel vorbei in Richtung Fischmarkt, verändert sich das Bild auf der Straße. Es wird lauter, plötzlich dröhnt orientalischer Hip-Hop aus verschiedenen Anlagen, dumpfer Bass vibriert in den Ohren. An Ständen, die mehr nach ‘do it yourself’ als professioneller Konstruktion aussehen, hängen Antifa-Fahnen, Schilder mit durchgestrichener Kamera und Banner zeigen, dass hier weder Platz für Rassismus noch Sexismus ist. Wir sind in der linken Szene angekommen. Hier, etwas abseits vom Getümmel um die großen Schiffe, findet der Alternative Hafengeburtstag (AH) statt. Ein Ort, den es schon seit Jahrzehnten gibt. Bekannt ist er unter den Hamburger:innen trotzdem nicht überall.
„Ist da so Techno?“
“Irgendwas Alternatives, Nachhaltiges, vielleicht mit Wasser und Booten – oder eher Bötchen?”, überlegt Tjark, als ich ihn nach dem Fest frage. Er trägt eine Arbeitshose mit oliv-grünem Parka und hockt mit seiner Freundin auf den Treppen der Landungsbrücken. Der 22-Jährige kommt aus Hamburg, hat vom AH aber noch nie gehört. Auch Ältere als er wissen wenig von dem Kontrast-Programm. “Keine Ahnung”, sagt eine Hamburgerin Mitte 30 an einem Bierstand, während ihre Freundin in Lederjacke entgegnet: “Ist da so Techno? Ich glaube, da bin ich mal vorbeigelaufen.”
Dabei liegt der Alternative Hafengeburtstag gar nicht mal so versteckt. Im Gegenteil, die meisten Stände sind direkt hinter denen des “eigentlichen” Hafengeburtstags aufgebaut, dort, wo die Hafenstraße in den St. Pauli Fischmarkt mündet. Allerdings sind diese demonstrativ in entgegengesetzter Richtung aufgestellt. Die Alternative wird also ausgegrenzt. Oder grenzt sie sich selbst ab? An diesem Wochenende klappere ich das Spektakel, das vom Fuß der Hafenstraße mit den bunten Häusern bis zum Park Fiction reicht, einmal gründlich ab und versuche herauszufinden, was es damit auf sich hat.
Etwa dort, wo die Hafenstraße einen Knick macht und es rechts hoch entlang der ehemals besetzten Häuser geht, steht ein weißes Zelt, auf dem vier rote Fahnen stecken. Ungefähr hier fängt der AH an. Auf den Fahnen sind zwei Personen unterschiedlicher Haarfarbe in einem gelben Pulli aufgezeichnet, die sich die Hände reichend. Es duftet leicht nach angebranntem Käse. Das Symbol gehört zu dem Verein DIDIF, der aus dem Türkischen übersetzt “Föderation demokratischer Arbeitervereine e.V." bedeutet. Schon seit zehn Jahren stehen sie jährlich hier sagt mir Umut, ein junger Mann mit schwarzen kurzen Haaren. „Hier sind diejenigen beieinander, die auch in sonstigen Veranstaltungen zueinander halten”, erklärt er, während sein Team den Passant:innen frisches Fladenbrot mit Spinat anbietet.
Das Schlagwort heißt Solidarität
Der Verein, der hauptsächlich aus türkisch- und kurdischstämmigen Arbeitern besteht, unterstützt Menschen, die aus sprachlichen oder Herkunfts-Gründen Schwierigkeiten bei der Arbeit oder im Privatleben haben. Sie können auf Hilfe bei Behördengängen und der Wohnungssuche hoffen, aber auch, wenn persönliche Konflikte entstehen. Für DIDIF ist der AH auch ein politisches Zeichen: “Durch unsere Präsenz zeigen wir, dass man hier solidarisch und sozial zueinander hält”. Sagt Umut. Er nennt das Fest eine Gegenbewegung zum “Original”: „Den Teil hier finde ich geil. Den da drüben nicht so doll,“ er zeigt in Richtung Landungsbrücken. “Dort ist es schwarz-weiß, viel Kommerz. Das braucht man eigentlich nicht, vor allem hier in Hamburg.“
Ein Zelt weiter treffe ich auf zwei gut gelaunte Frauen, die viel Spaß daran haben, frischen Mojito zusammenzumischen. Auf einem sehr bunten Flyer steht rahmend um eine weiße Weltkugel “Asmara’s World”. “Das bin ich”, sagt eine von den beiden grinsend, ihre schwarzen Krausellocken zu einem Zopf nach hinten gebunden. „Ich hab’ mir mit dem Namen damals nicht so viel Mühe gegeben, ich wusste nicht, dass das so groß wird.“ Vor knapp fünf Jahren begann sie mit Beratungen für Menschen mit Migrationshintergrund, spezialisierte sich dabei vor allem für Geflüchtete. “Es gibt sehr viel rechtswidriges Verhalten seitens der Behörden und vor allem von deren Mitarbeitern”, erzählt sie und nennt unter anderem das UKE, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Ausländerbehörde, oder das Jobcenter. Überall dort begegne ihnen struktureller Rassismus. Asmara gründete einen Verein, der inzwischen bundesweit gewachsen und dieses Jahr für den Integrationspreis nominiert ist. Der AH gibt ihr die Gelegenheit, Spenden zu sammeln. “Der Hafengeburtstag wird immer eine Sache sein, bei der man sich besäuft – egal ob antikapitalistisch oder nicht. Es ist natürlich hart, weil kleine NGOs oder kleine Gruppen niemals eine Chance bekommen werden, hier einen Stand zu haben. Deshalb freuen wir uns auch, dass wir bei dem Alternativen sein können.”
Auf einer kleinen Bühne die Straße weiter runter wird gerade ein Schlagzeug aufgebaut. Hier tanzen die Besuchenden zu Punk und Rock-Musik. Der Ort bietet vor allem Raum für Bands aus der Nachbarschaft, wie beispielsweise die Punkband Raccoon Riot. Zwei junge Frauen hocken auf der Bürgersteigkante gegenüber. Sie trinken Bier aus der Flasche und schauen sich das Geschehen an. “Freunde von mir arbeiten hier”, sagt Yvonne und zeigt auf einen Stand, über dem die Aufschrift “Vegan Deluxe” mit einem gekrönten Burger in der Mitte prangt. Dort gibt es Erdnuss-Chili, Barbecue oder Cheese-Burger. Alles vegan. “Ich bin gerne hier”, sagt die 37-Jährige. “Den Hafengeburtstag empfinde ich als sehr anstrengend, viel zu groß. Das hier ist die beste Gegenveranstaltung, um den Leuten zu zeigen, dass es wichtig ist, über politische Themen aufzuklären, dass es nicht nur um Halligalli, Trubel und Konsum geht, sondern auch darum, einen Platz zu schaffen, der nicht rassistisch oder sexistisch ist.”
Dankbar für so einen Ort ist auch das Kollektiv Kan-Kilin. Die Gruppe, die zum Großteil aus Geflüchteten people of color besteht und dieses Jahr zum ersten Mal beim AH mit dabei sind, erleben ständig Rassismus in ihrem Alltag. Deshalb haben sie sich untereinander zusammengetan, aber auch mit Mitbürger:innen, die eine aktiv antirassistische Umgangsweise in ihrer Nachbarschaft fördern. Gemeinsam wollen sie einen Raum schaffen, in dem sich alle gegenseitig unter die Arme greifen, sie arbeiten selbstorganisiert und eher familiär. Dementsprechend bedeutet Kan-Kilin auch ‘eine Stimme’. “Wir sind hier, um uns gegenseitig zu helfen, ob du nun ein Problem hast oder nicht, ob du unter Polizeibrutalität leidest oder nicht, ob dein Asyl gut ist oder nicht”, erklärt Ibrahim in gebrochenem Englisch. Um solch einen Raum der Solidarität zu finanzieren, kochen sie heute ein afrikanisches Reisgericht auf einem kleinen Campingkocher.
Veranstaltende sind alle
Seit wann es den Alternativen Hafengeburtstag schon gibt, weiß niemand mehr so genau. Die, die es wissen könnten, reden nicht gerne mit der Presse. Ansprechpartner:innen für die Veranstaltung gibt es nicht. Soll es auch nicht, denn alle verstehen das Event als selbstorganisiertes Projekt. Alle Stände stehen fast immer am gleichen Ort und sprechen sich untereinander ab. „Es findet halt statt“ ist das Motto. Mit den Jahren wurde es ein Selbstläufer.
Am Stand der Interventionistischen Linken verkauft Marleen Mexikaner für 50 cent. Die postautonome Gruppe ist bundesweit bekannt für ihre Aktionen gegen die Klimakrise, gegen Rassismus oder Faschismus. “Gerade findet ein Flashmob zum Thema Klimagerechtigkeit statt”, erzählt die junge Frau mit den kurzen blonden Haaren. “Wir machen darauf aufmerksam, dass der Hamburger Hafen dazu beiträgt, dass die Klimaziele nicht erreicht werden.” Der Hafen stoße sehr viel CO2 aus und damit zeige sich besonders die Problematik im Kapitalismus: “Solange die Wirtschaft darauf basiert ist, Gewinnmaximierung zu betreiben und der Hafen immer größer wird, können wir die Klimaziele nicht erreichen und werden unsere Welt zerstören.” Sie sieht allerdings auch eine gute Sache an dem Hafenfest: Die Leute kämen sonst ja nicht vorbei und es entstehen viele Gespräche. “Das sind natürlich so Gespräche, die man nicht führt, wenn man sich nur auf der Schanze, St. Pauli und so rumtreibt.” Vielleicht werde ja auch der ein oder die andere direkt politisiert. Und verkaufen würden sie hier ja auch. Aber wesentlich günstiger und für einen guten Zweck.
Die Preisklasse ist tatsächlich sehr niedrig. Bis oben hin zum Park Fiction erhalte ich Cocktails und Speisen für fünf Münzen. Auch das kostengünstige Angebot stellt eine Gegenkultur zum großen Hafengeburtstag. „Dort ist alles ja sehr kommerziell und teuer“, erklärt Kevin von der antikapitalistischen Organsiation Roter Aufbau. Das weiße Zelt mit den roten Rändern bildet den Anfang auf der anderen Seite des AH‘s, am oberen Ende der Hafenstraße. „I’m so excited“ von den Pointer Sisters schallt über den Kreisel. Kevin, kahler Kopf und rotes Shirt, erzählt, dass die Gruppe sich unter anderem gegen die hohe Mietpolitik einsetzt, „die in diesem Stadtteil echt ein Problem ist.“
Neben den Zelten verkaufen auch private Leute Getränke, die mit einer Schubkarre voll mit Eis gekommen sind. Ein Mann in weißem Longsleeve auf dunkler Jeans ruft mir zu, als ich vorbeilaufe. Seine Karre steht schräg gegenüber vom Roten Aufbau. Von hier kann man den lauten Bass von der Technobühne hören, die am Schauermannspark aufgebaut ist. Das ganze Wochenende über stampfen sich hier Jung neben Alt die Füße platt. Kevin, wie auch der dunkelhaarige junge Mann heißt, wusste gar nicht so genau, auf was er sich hier einlässt: „Ich dachte, wir feiern irgendwie Wasser oder so, aber bis dahin sind wir noch nicht gekommen“, sagt er lachend. „Ich bin neu in der Stadt und will meinen Führerschein machen.“ Eigentlich wollte er seine Eltern anzapfen, aber seine Mutter schickte ihn hierher. Er weiß, dass nicht viel bei rausspringen wird, aber er hofft wenigstens auf einen Anteil: „Ich kauf Bier für ein Euro und verkaufe für zwei. Wenn ich heute 100 Stück verkaufe, habe ich immerhin 100 Euro.“
Dass das nicht legal ist, ist den meisten gar nicht so klar. Dieses Jahr hat das Ordnungsamt sämtliche Straßenhändler kontrolliert und ihre Ware konfisziert. Für die Menschen auf dem Alternativen Hafengeburtstag ist das mehr als ärgerlich. Für das Ordnungsamt ist es hingegen ein „probates Mittel“. Das Fest werde seit zwei Jahrzehnten von allen Senaten geduldet, so die Pressestelle des Bezirksamt Hamburg-Mitte. Eine Entscheidung, „die in erster Linie darauf abzielt, zur Beruhigung der Lage vor Ort beizutragen und eine Zuspitzung vor Ort zu verhindern.“ Die Räumung sei also im Sinne einer Deeskalation. Die CDU geht noch einen Schritt weiter und stellt fast jährlich einen Antrag zum Verbot des Events. Eine Reaktion auf Nachfrage bleibt aus.
Nicht nur junge Leute wollen auf dem Alternativen Hafengeburtstag ihren sparsamen und toleranten Lebensstil ausleben. Das Alter ist buntgemischt. Auf einem Bürgersteig am Fuß des Park Fiction sitzt ein ergrautes Pärchen. Sie nennen sich Ebbe und Flut und kommen jedes Jahr hierher. „Hier sind nette Menschen, gutes Essen, billige Preise“, sagt er und sie fügt hinzu: „Und gemütlich. Beim Richtigen sind viel zu viele Menschen.“ Die 66-Jährige überlegt: „okay, hier sind auch viele.“ „Aber das geht ja, hier kannst du in aller Ruhe anstoßen“, sagt er und nippt an seinem Bier, „es ist in den letzten Jahren auch größer geworden.“ „Besser. Das waren früher nur so vier bis fünf Stände.“ „Und jetzt die ganze Straße runter.“ Er macht eine Armbewegung über die Stände im Hintergrund und lächelt. „So wie es ist: Alles gut.“