text Christina Gilch
redaktion Johannes Jacobi
fotos Christoph Buckstegen
Was macht man, wenn man sich noch einmal ein Wochenende vor dem anbahnenden Winter verstecken möchte? Wenn man noch einmal ein bisschen Festivalluft schnuppern will, bevor die Saison dann auch wirklich vorbei ist? Man fährt zum Kaltern Pop Festival nach Südtirol. Und als würden 20 Grad am letzten Oktoberwochenende, sowie eine traumhafte Bergkulisse nicht allein schon ausreichen, gibt es in gewohnter Haldern-Pop-Manier noch das ein oder andere Highlight zu entdecken. Los gehts, letzte Runde.
Weingläser klirren und ein leises Tuscheln ist im Raum zu vernehmen. Das Publikum hat es sich auf dem alten Holzboden gemütlich gemacht und die Sonnenstrahlen, die durch die hohen Rundfenster scheinen, lassen den aufgewirbelten Staub in den Lichtkegeln glänzen. Wir sitzen im Festsaal des Grandhotel Penegal. Kaiserin Sissi soll hier oben schon den ein oder anderen Sommertag verbracht haben oder Karl May mal eben sein Alterswerk verfasst. Also nur so am Rande.
Hier oben? Wir haben uns für diesen Samstagmittag die vielleicht spektakulärste Venue des Kaltern Pop Festivals ausgesucht. Wir befinden uns auf dem Mendelpass, genauer gesagt auf 1363m Höhe, mit atemberaubendem Blick über die umliegenden Berge und Täler.
Aber das ist, wie so oft an diesem Wochenende, nur die Krönung. Die Sahnehaube auf dem lauwarmen Apfelstrudel, wie man hier wahrscheinlich sagen würde.
Und nun geben sich in einer zweistündigen Matinée hochkarätige Künstler*innen das Mikrofon in die Hand. Als Adam French, mit seiner glasklaren Stimme, einen seiner wohl melancholischsten Song zum Besten gibt, ist es nicht nur um mich geschehen, sondern auch um alle anderen Menschen in diesem Raum. In diesem Moment sind alle so ergriffen, dass selbst das Klimpern der Weingläser für einen Augenblick aussetzt. Ansonsten begleitet einen dieses Geräusch das ganze Wochenende.
Ach ja und dass Adam ein paar Minuten davor noch nett plaudernd mit uns in der Seilbahn hoch zum Pass saß, ist hier in Kaltern sowieso eine Selbstverständlichkeit.
Und so geht es weiter. Ein magischer Moment jagt den nächsten. Das, was nur wenige Festivals schaffen, scheint Stefan Reichmann (Veranstalter des Haldern & Kaltern Pop Festivals) immer wieder auf höchster Ebene zu gelingen. Dabei liegt die Zauberformel doch eigentlich auf der Hand:
Ein liebevoll kuratiertes Line-up, das Schaffen einer Atmosphäre, das Gefühl von Gemeinsamkeit, etwas Entschleunigung und die Möglichkeit zur Alltagsflucht, eine Prise Besonderheit, aber eben nicht vollkommene Perfektion.
Und eigentlich, obwohl wir doch gerade auf dem Weg zum Vereinsheim sind, versumpfen wir wieder einmal bei einem Glas Wein. Dann fängt auch noch Nicholas Müller an zu singen. Einfach so, vor einem Restaurant auf dem Kalterer Dorfplatz, inmitten von rot karierten Tischdecken, mit seiner tief kratzigen Stimme, die einem direkt unter die Haut kriecht. Es bleibt einem keine andere Wahl, als einfach nur wie angewurzelt stehen zu bleiben.
Es macht aber auch nichts, dass wir nun unsere Lieblingsband verpassen, denn viele Künstler*innen spielen mehrmals an diesem Wochenende und mischen sich auch einfach so unter die Gäste, was alles noch ein bisschen entspannter werden lässt.
Es fühlt sich an, als wäre es ein Privileg dabei zu sein, wenn diese großartigen Musiker*innen ihre Tage in den Bergen verbringen. Wenn das Kollektiv Stargaze in Mini-Orchester-Besetzung Variationen von Beethoven zum Besten gibt oder der „Haus-und-Hof“-Chor Cantus Domus aus Berlin angereist ist, um wieder einmal alle Zuhörer*innen zu verzaubern und bei der/dem ein oder anderen eine Träne kullern zu lassen.
Das Setting ist an Besonderheit und Intimität kaum zu übertreffen. Bei manchen Konzerten sind so wenige Menschen, dass es einen schon fast nervös macht. So kann es auch vorkommen, dass sich der/die Künstler*in nach dem Auftritt - gemütlich durchs Publikum schlendernd - bei den Anwesenden bedankt, dass man ihm zugehört hat. Man hätte schließlich auch draußen in der Sonne sitzen können.
Und später am Abend, wenn die letzten Strahlen dann im Bergpanorama verschwinden und man durch die schwach beleuchteten Kalterer Gassen schlendert, zeigt sich insbesondere für alle Stadtkinder noch der Zauber eines sternenklaren Nachthimmels. Uns überkommt die pure Glückseligkeit dabei gewesen zu sein. Dabei, bei diesem intimen Treffen der Haldern Pop Familie zum gemeinsamen Sommerausklang. Mit Wanderungen durch die Weinberge, den Füßen im Kalterer See, Südtiroler Knödel, ach ja und mit ein bisschen Musik natürlich.