Wäre es nicht ganz so staubig, wäre es sicherlich auch nicht ganz so eindrucksvoll auf dieser 21. Ausgabe des Splash! Festivals im Jahr 2018. Die Atmosphäre erinnert ein bisschen an Endzeit-Ambiente, die Ravioli werden auch ohne Dosenkocher warm und man schleppt sich ohne Energie, dafür mit an die Hände getapten Bieren die Halb-Insel Ferropolis entlang.
text Isabel Roudsarabi
lektorat Christina Gilch
fotos Sascha Krautz
Es gibt unzählige Dinge, die dieses Festival so einmalig machen. Die Musik ist da nur das Offensichtlichste. Das Splash! hat es geschafft in den letzten zwei Dekaden von einem kleinen Jungend- und Kulturzentrum, das nur knapp über tausend Besucher fasste, in das vielleicht imposanteste Festivalgelände Deutschlands umzuziehen: Eine alte Tagebau-Stätte in Gräfenhainchen, Sachsen-Anhalt. Jeder Bagger und jeder Stein hat hier seine eigene Geschichte und als wäre das nicht schon fantastisch genug, legt sich in diesem Jahr der Staub des Festival Geländes um jede einzelne Faser und macht damit alles vielleicht sogar noch ein bisschen atmosphärischer.
Wenn man das erste Mal das Infield betritt und direkt von wabernden Bässen sowie monströs metallenen Maschinen begrüßt wird, dann ist man irgendwie angekommen. Auch, wenn der Weg vom Campingplatz - zwar am See liegend, umrandet von Bilderbuch-artigen Steinklippen und meterhohem Schilf, trotzdem aber - ein wenig zu lang ist und schon mal um die 30 Minuten dauern kann. Umso mehr freut man sich dann, endlich irgendwo angekommen zu sein, wo es etwas zu essen, Klos und Musik gibt.
Man fühlt sich ein bisschen wie in eine andere Welt hineingeworfen, wenn man seine Bahnen ums Gelände zieht. Ja, natürlich wird das über jedes Festival gesagt, aber das Splash! Parallel-Universum ist kein Glitzer-Planet und auch kein Goa-Paradies, sondern einfach besonders real (rē(ə)l). So real, dass es - sehr, sehr klischeehaft gesprochen, aber natürlich auch sehr, sehr leibhaftig - die Verkörperung der Hip Hop Kultur ist und sich mit ihr wandelt. Die Adidas und Nike Uniformen sind zwar schon seit 20 Jahren nicht wegzudenken, dazu gekommen sind in den letzten Jahren aber etwa diese Shirts, bei denen sich ein und das selbe Gesicht (wahlweise von Taylor Swift, Obama oder irgendeinem Internet-Meme) tausend Mal wiederholt, blonde Mädchen mit Cornrows oder Lean. Der Style des Splash! ist mit Sicherheit einer derjenigen mit dem höchsten Wiedererkennungswert der Festivallandschaft.
Alle sind hier sehr cool und lässig. Es wird viel geknutscht und viel gekifft. Viele machen aber auch noch sinnvollere Dinge. Graffiti-Workshops zum Beispiel. In demselben Gebäude, wo diese stattfinden, fahren auch Züge - simulierte zwar, dafür aber gestaltet von einer Reihe bekannter Graffiti-Künstler. Generell findet man alles was das Hip Hop Herz begehrt - Rap Battles, Bhad Bhabie’s merkwürdigen Auftritt, genug Plätze zum zwischen-den-konzerten-Einschlafen und Cookie Dough im Becher.
Nach Außen hin, mag das Festival vielleicht ein bisschen abgeklärt wirken, dabei ist es sehr viel herzlicher als man erwarten würde. Das Splash! ist eben auch ein Ort, an dem man sich von seinem Zeltnachbarn eine halbe Stunde lang erklären lassen kann, welche Noten sich beim 3 Euro Wein von Penny herausschmecken lassen (Ananas, Schokolade), während man eigentlich lieber mit seinem Kollegen im Zelt ein bisschen rummachen würde.
Und wer keine Lust mehr auf Geballer hat, entspannt sich am See, baut Dosenfiguren zum Hinterher- ziehen oder Schattenplätze für sein Camp, bis dann abends wieder die Bengalos alles ins rote Licht tauchen und man von einem Moshpit in den nächsten hüpft.
Das Line-Up ist, wie immer - das muss man glaube ich Niemandem mehr sagen - überladen mit den besten Rapper*innen der Welt. Die Elite des deutschen Hip Hop drückt sich hier die Klinke in die Hand (Dendemann, Haftbefehl, Trettmann, Sido & Savas…) internationale Acts heizen den Gästen ein (u.a. Tyler, The Creator, Lil Pump, Stereo Luchs) und Newcomer fangen schonmal an ihren Stern zu polieren, der dann hoffentlich bald ganz oben am Hip Hop Himmel leuchtet.
Trotz der 100 Kubikmeter Staub in der Lunge, kann man den Hip Hop Arm auch am Sonntag noch heben, rauchen geht auch noch, also alles noch einmal gut gegangen. Ja, es haben ein paar Autos gebrannt und ja, man hat auch 3 Wochen danach noch schwarze Popel in der Nase gefunden und ja, Hip Hop ist vielleicht auch nicht mehr das was er mal war, aber das ist auch gut so. Genauso wie der Conscious Rap der 80er oder der Boom Bap der 90er sich ihre Existenzberichtigung erkämpft haben, haben es auch die Trap Beats, die Cornrowns und die vermeintlich inhaltslosen Texte von heute. Das Splash! bildet genau diese Veränderungen eben ab, bringt aber auch Generationen von Beat-süchtigen, Bandana-tragenden, mit-grölenden Fans zusammen.
Egal also, ob beim nächsten Mal der Lieblingsact dabei ist, oder man eigentlich keine Lust auf Cloud Rap und Autotune hat, wer sich das Splash! entgehen lässt ist selber schuld.
Um jetzt, traditionsgemäß, mit einem krassen Rapzitat abzuschließen: “Hier riecht’s wie Amsterdam, hier sieht’s aus wie auf’m Melt! - Splash!, der schönste Ort auf dieser Welt!”
(fast) Komplettes Line-Up 2019:
$uicideboy$, Ahzumjot, A$ap Rocky, Bausa, BHZ, bladee, BRKN, Brockhampton, Chance the Rapper, Credibil, Dissy, Döll, Eno, Fatoni, Flatbush Zombies, Future, Gunna, Hasan.K & GRiNGO, J.I.D, Jay Rock, Juju, Juse Ju, Killy, LGoony, Lil Baby, Little Simz, Luciano, MadeinTYO, MoTrip & Ali As, Naru, Nura, OG Keemo, Plusmacher, Reezy, Rich the Kid, Saba, Saint JHN, Saweetie, Scarlxrd, Sheck Wes, Skinny Finsta, SSIO, Sugar MMFK, Trettmann, Trippie Redd, Tua, Ufo361, YBN Cordae, Young Thug, Yxng Bane