Es begann im Jahr 2012: Casper spielte in seiner früheren Heimatstadt Bielefeld ein Indoor-Festival und lud dafür Sizarr, Slime und Prinz Pi ein, um gemeinsam den Jahresabschluss zu feiern. Was unter dem Namen "Willkommen Zuhause Festival" mit Unterstützung der Öffentlich-Rechtlichen startete, entwickelte sich später zum "Zurück Zuhause Festival".
text Jens Grabietz
redaktion Henrike Schröder
fotos Nils Lucas
Über die Jahre wurden die Konzerte exklusiver und nicht mehr über diverse Social-Media-Plattformen gestreamt; 2016 und ‘17 wurde das Festival auf zwei Tage ausgeweitet, bis es sich 2018 wieder auf einen Samstag kurz vor Weihnachten reduzierte. Das grundlegende und bewährte Konzept hat sich erfreulicherweise nicht gewandelt. Nach wie vor lädt Casper befreundete und interessante Acts in seine alte Wirkungsstätte ein und beschließt das Jahr mit einer lauten Weihnachtsfeier.
Alter Tresen, neue Perspektive
Das Zurück Zuhause findet seit Beginn im (Ring-)Lokschuppen statt. Das Gebäude ist der Wiederaufbau eines Bahnwerks aus den 50ern, das sich, seit der Einstellung des Betriebs, in eine Diskothek und Veranstaltungsstätte verwandelt hat. Mit einem klapprigen "Schuppen" hat es mittlerweile nur noch wenig zu tun, stattdessen bieten zwei Konzertsäle einen durchaus beeindruckenden industriellen Charme, ohne dabei ranzig zu wirken. An der riesigen Deckenhöhe, den hohen Backsteinwänden und Toren kann man nachempfinden, dass an dieser Stelle vor vielen Jahren Dampfloks rangierten.
Nicht nur aus infrastruktureller Sicht macht der Veranstaltungsort für Caspers Heimatfestival absolut Sinn: Vor seinem Durchbruch jobbte er noch selbst an der Theke, mit bestem Blick auf die Bühne, die er heute selber bespielt. “Zurück Zuhause” ist also definitiv wörtlich zu nehmen. Zwischen den Liedern gibt der Gastgeber immer wieder Anekdoten aus seiner Zeit in Bielefeld zum Besten.
Casper, kultureller Wohltäter für die Region
Als Bielefelder*in oder generell aus der Region Ostwestfalen-Lippe (kurz OWL) kommend, schätzt man, dass endlich mal wieder eine große Veranstaltung mit guten Acts in der Umgebung stattfindet, die sich zwischen Mainstream und Independent bewegt. Dass Casper mittlerweile so erfolgreich geworden ist, dass er Bielefeld verlassen hat, wirft man ihm nicht mehr vor, im Gegenteil: Eher ist man froh, dass er jetzt öfter Mal für ein wenig Abwechslung in der Gegend sorgt, nicht nur durch sein Festival. Er selbst ist großer Arminia-Fan und schaut sich gerne mal das ein oder andere Spiel auf der Alm an. Beim Einlaufen der Spieler hört man sogar schon mal einen Teil von “Ascheregen” erklingen. Und spätestens seit dem Auftritt vor den Toren des Stadions zusammen mit Marteria im Sommer 2018, zu dem sich innerhalb von zwei Stunden 5.000 Besucher versammelten, hoffen viele darauf, dass bald das große Stadionkonzert auf der Alm stattfindet.
Insgesamt ist es für Musik- und Popkultur-Interessierte nicht immer ganz einfach im Raum OWL. Trotz aller Bemühungen hat man das Wegbrechen von Veranstaltungen wie dem Serengeti Festival und Clubs wie dem Kamp zu verkraften. Es gibt zwar noch einige engagierte Institutionen, die sich bemühen, letztlich bleibt das Angebot aber überschaubar. Häufig fragt man sich da als Bielefelder: “Warum passiert bei uns so wenig? Wir sind viele und wollen auch mal Zuhause bleiben!”.
Den Festivalnamen kann man also auch so interpretieren: Endlich mal zurück Zuhause, nicht drei Stunden von einem Konzert mit dem Nachtzug den Heimweg antreten oder einen Tag Urlaub nehmen, um sich eine kleine Clubshow einer aufstrebenden Popband in Köln anzuschauen. Endlich kann man sich sogar mal bei Freund*innen revanchieren und ihnen seine Couch anbieten, um einen guten Abend zu verbringen.
Zuhause als Sprungbrett
2018 eröffnete Mia Morgan als absolute Newcomerin das Festival mit ihrem Gruftpop, gefolgt von den Hamburger Alternative-Indie-Trunkenbolden Swutscher. Später stellten die Leoniden ihre perfekten Live-Qualitäten unter Beweis, bevor der heimische Headliner die Bühne betrat.
Das Booking legt sich insgesamt nur selten auf ein Genre fest. So kam es im Debütjahr zum Aufeinanderfolgen von den Punk-Legenden Slime und Hip-Hopper Prinz Pi; in einem anderen Jahr gaben sich die Flensburger Deutschpunks Turbostaat und Haftbefehl das Mikro in die Hand. Auch wenn es beim jungen Publikum möglicherweise zu Irritationen führt, lässt sich hier das ausgeprägte Musikverständnis des Gastgebers erkennen. Ganz nebenbei gibt’s auch noch eine Geschichtsstunde über die musikalischen Wurzeln Caspers und einen Richtungsweiser in Sachen musikalische Zukunft, live auf der Bühne. Außerdem bekommen auf dem Zurück Zuhause jedes Jahr vielversprechende Newcomer, wie Mia Morgan, die Gelegenheit vor einem großen Publikum zu spielen. Auch LGoony, Bilderbuch und Feine Sahne Fischfilet standen schon im Line-Up, bevor diese ihren heutigen Ruf genossen.
Die herausragende Bühnenpräsenz des Headliners und Gastgebers Casper muss man heutzutage kaum noch erklären. Wie wahnsinnig springt er auf der Bühne herum und das Publikum kann gar nicht anders, als mitgerissen zu werden. Aber es ist dann doch etwas Besonderes, wenn dieses Heimspiel stattfindet. In jedem Jahr kann man gespannt sein, welche befreundeten Künstler*innen und Feature-Acts er während seiner persönlichen Weihnachtsfeier auf die Bühne holt, denn das sind in der Regel einige. 2018 waren es Thees Uhlmann, FELLY, Drangsal und natürlich Marteria, die gekonnt die Halle abrissen und für das perfekte musikalische Jahresfinale sorgten.
Durch den Mix an Künstler*innen entsteht stets eine Dynamik im Publikum. Mal lauscht man, mal bricht die Party aus, mal gehen die Hände im Rhythmus hoch, mal wird im Takt getanzt und mal wird sich einfach nur zum passenden Sound betrunken. Am Ende des Abends geht die Halle einheitlich mit dem Gastgeber mit, dreht durch und feiert jeden Song.
Weihnachten steht bevor, man befindet sich in der Phase, in der man die vergangenen zwölf Monate noch einmal Revue passieren lässt und sich ein wohliges Gefühl mit einem Hauch Melancholie breit macht. Man erzählt sich Geschichten die man im Jahr erlebt hat, trifft Freunde, die man ewig nicht gesehen hat und die Mischung aus lieb gewonnenen Ritualen und Überraschungen schickt jeden mit einem breiten Grinsen in das Jahresende. Von mir aus auch zurück nach Hause. Bis nächstes Jahr!