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Festivals Barrierefrei:

Im Rollstuhl auf dem Wacken Open Air 2016


 
 

text Johannes Jacobi
fotos Sascha Krautz

Crowdsurfende Menschen im Rollstuhl, 130kg schwere E-Rollis, die von einer tobenden Menge durch den Schlamm gehievt werden… Bilder dieser Art gehen regelmäßig um die Welt, aber spiegeln sie auch die Realität wieder? Gerade bei Regen wird es schnell kompliziert, mal davon abgesehen, dass viele Festivals sich nach wie vor schwer tun, wenn es um Barrierefreiheit auf dem Gelände geht.

 

Wir haben uns beim diesjährigen Wacken Open Air mal genauer umgeschaut und haben zufriedene, aber auch unzufriedene Metalheads im Rollstuhl getroffen.
Schlimmer geht immer, besser aber wohl auch. Seht selbst.

Linus / 23 / Borgentreich

Wie oft schon auf dem Wacken und schon auf anderen Festivals gewesen?
Ist mein drittes Mal. Und sonst noch Punk im Pott und Ruhrpott Rodeo.

Wie schneiden die Festivals im Vergleich bei dir ab?
Punk im Pott war Indoor – also eine andere Nummer. Und ja, Wacken ist halt immer… (zeigt auf den Schlamm)

Wie gehst du damit um?
2014 war es optimal: da gab es Sonne pur und da komme ich ohne Probleme selber klar. Letztes Jahr war die Hölle, aber das ist auch das Geile an Wacken: es kommen ständig ungefragt Leute auf dich zu und wollen helfen. Ich wurde halt durch die Scheiße hier getragen letztes Jahr.
Ich hatte gehofft, dass es dieses Jahr besser wird, aber… Ist zwar nicht ganz so schlimm, aber ohne Hilfe komme ich nicht weit.

Ich wurde letztes Jahr durch die Scheiße hier getragen.

Wie steht’s hier mit sanitären Anlagen? Gibt’s genug Toiletten und Duschen?
Duschen, als ob! Da brauche ich wirklich nur ’nen Eimer Wasser.
Bei den Toiletten stelle ich mir den Rollstuhl draußen hin und ein paar Schritte schaffe ich es zu laufen.

Was könnte aus deiner Sicht verbessert werden?
Zumindest die wichtigen Wege könnten mit Platten ausgelegt werden. Ich denke nicht, dass das so ein riesen Kostenaufwand wäre. Ich kann auf vieles verzichten, aber zumindest zu den Rollstuhlbühnen oder so.

Beschissenstes Festivalerlebnis?
Punk im Pott. Da war die Security ziemlich daneben. Die meinten, nachts die Behindertentoiletten abschließen zu müssen und wollten die auch nicht wieder öffnen. Die haben sich was anhören können.

Bestes Erlebnis?
Als ich das erste Mal hier war. Crowdsurfen mit Rollstuhl.


Sebastian / 31 / Halle

Wie oft warst du schon hier?
Das ist mein erstes Mal.

Wie läuft’s bisher?
Du kannst dir gegen Pfand einen Schlüssel abholen, dann kannst du einfach auf die Behindertentoiletten gehen, die gleichzeitig auch Duschen sind. Ansonsten haben wir ein bisschen Pech mit dem Wetter, dadurch natürlich relativ viel Matsch. Es gibt zwar Rollstühle. mit denen man auch im Matsch fahren kann, aber ich habe keinen Bock, 300 Euro Miete zu zahlen. Das hat für mich schon eher mit Exklusion, statt mit Inklusion zu tun. Dafür ist das mit dem Rollstuhlcampingplatz aber super geregelt. Der ist sehr nah am Gelände. Gleiches gilt auch für die Rollstuhlbühnen, auch wenn die bei Maiden so voll waren, dass es fast zu viel war.

Kommt man denn da noch ran?
Also ich habe heute nicht eine Band gesehen, weil es einfach nicht mehr möglich ist. Wenn es morgen so regnet wie heute, dann habe ich zwei Tage lang nicht eine Band gesehen. Das wäre natürlich doof. Dazu kommt ja noch, dass von diesen Turborollstühlen nur drei Stück da sind. Es sind aber 30-40 Rollstuhlfahrer da. Es ist einfach schade, wenn du 190 Euro hinblätterst und am Ende siehst du drei Bands.

Wenn es morgen so regnet wie heute, dann habe ich zwei Tage lang nicht eine Band gesehen.

Wie ist das beim Rockharz geregelt?
Das Drumherum ist ein bisschen schlechter. Die haben keine Behinderten- oder Rollstuhlduschen. Die Toiletten sind einfache barrierefreie Dixies, wie sie auf dem Infield hier auch stehen. Einen gesonderten Campingground gibt es nicht, was ich für die Inklusion aber besser finde.

Wie ist das hier geregelt, wie viele Leute kannst du mitbringen?
In der Theorie kannst du vier Leute und zwei Autos mitbringen. Wir sind hier aber zu sechst mit drei Autos und es gab keine Probleme. Auf die Rollstuhlbühnen kannst du dann eine Person mitnehmen. Das ist beim Rockharz natürlich besser, weil es kleiner ist und dementsprechend hat man mehr Platz. Da kannst du dann auch drei – vier Leute mit auf die Bühne nehmen.

Auf wen freust du dich hier am meisten?
Maiden, die habe ich ja gestern gesehen. Ich war aber überrascht, weil sie ja die einzigen auf der True Metal Stage waren, dafür war es aber sehr schlecht abgemischt.

Lustigste oder beschissenste Festivalgeschichte?
Beim Rockharz haben wir vor 2 Jahren jemanden gesehen, der kam da im Anzug an und wirkte ein bisschen wie der Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer. Zwei Stunden später haben wir ihn dann auf dem Gelände wiedergesehen, da war er komplett besoffen und hat nur noch einen karierten Minirock getragen. Darunter trug er nichts!

Wie reagieren die Leute hier auf dich, gibt es da Berührungsängste?
Alles super nett und so, aber manchmal gibt es eine Tendenz zur negativen Diskriminierung. Ich hab z.B. gestern einen Burger gegessen, wollte den Rest dann in das Papier einwickeln. Das ist mir aber weggeflogen und als ich es aufheben wollte, grabscht es jemand vor meiner Hand weg, zerknüllt es und wirft es in den Müll. Hätte er es mich einfach aufheben lassen, hätte ich meinen scheiß Burger wieder einpacken können. Er meinte es ja nicht böse, aber die Leute sind halt übervorsichtig. Mir wäre es lieber, wenn mich jemand ausversehen in den Matsch pogt, als wenn er mein Burgerpapier zerknüllt und wegwirft.

Mir wäre es lieber, wenn mich jemand ausversehen in den Matsch pogt, als wenn er mein Burgerpapier zerknüllt und wegwirft.

Melanie / 26 / Lübeck

Wie oft schon auf dem Wacken und warum immer wieder?
Zum dritten Mal, weil es echt schön ist und ich Festivals einfach liebe.

Auf welchen Festivals warst du denn noch so?
Auf dem Mittelalterlich Phantasie Spectaculum zum Beispiel, aber auch auf kleineren Festivals.

Was ist da der größte Unterschied bezogen auf die Rollstuhltauglichkeit?
Tatsächlich wird hier viel für uns gemacht. Es ist zwar noch lange nicht perfekt, aber alleine hier gibt es zwei WCs mit Dusche – absolut behindertengerecht, das ist schon sehr gut. Außerdem gibt es die Camps für Rollifahrer plus Begleitung und die Rollibühnen.

Kommt man da denn gut ran?
Mit dem Wetter ist es echt schwierig, aber es wird schon sehr drauf geachtet, dass diese auch freigehalten werden.

Tatsächlich wird hier viel für uns gemacht.

Was könnte man denn noch besser machen?
Mehr Toiletten sind immer gut. Außerdem vielleicht Gummimatten, damit wir hier einfach besser vorankommen.

Hast du irgendeine lustige Festivalgeschichte für uns?
Heute ist eher was Dummes passiert. Beim Knasterbart Konzert waren die Leute so am Pogen und haben überhaupt keine Rücksicht auf mich genommen. Da hat dann einer den anderen angesprochen und meinte: „Pass mal ein bisschen auf, hier ist eine Rollifahrerin.“, da meinte der andere nur: „Ich hab 180 Euro für die Karte gezahlt, ich mach hier was ich will.“

Wie geht das Publikum hier ansonsten mit dir um?
Hier hat keiner Berührungsängste. Die Leute packen sofort mit an. Gerade wenn ich irgendwo stecken bleibe, sind sofort 10 Leute anwesend, die mich zur Not dann auch durch die Gegend tragen. Das sind einfach super liebe Menschen hier, echt toll.

Auf wen freust du dich hier am meisten?
Das war tatsächlich Knasterbart, die hab ich lange nicht gesehen.

Gibt es noch etwas, was du dem Veranstalter mit auf den Weg geben würdest?
Positiv möchte ich erwähnen, dass es echt das am besten ausgestattete Festival ist, was ich bis jetzt erlebt habe. Die Negativpunkte hatte ich ja schon angesprochen. Macht auf jeden Fall so weiter, ihr seit auf einem guten Weg.

Thorsten / 51 / Duisburg

Wie oft warst du schon auf dem Wacken und wie kam es dazu?
Das ist mein erstes Mal. Meine Frau war schon zweimal da und sie wollte unbedingt, dass ich mitkomme.

Warst du schon auf anderen Festivals?
Bizarre Festival und Summerjam.

Was sind die größten Unterschiede zum Wacken?
Mir gefällt hier vor allem die Atmosphäre.
Ich bin ja auch zum ersten Mal auf so einem großen Festival und muss aber sagen, dass es nicht optimal gelöst ist. Mit meinem Elektrorollstuhl kann ich jetzt z.B. nicht aufs Infield fahren, da sie jetzt keine Elektrorollstühle rein lassen, wegen zu viel Matsch. Da fehlt die Kommunikation. Es gab nicht einmal eine Begründung. Es heißt einfach: „Nein, jetzt dürft ihr nicht.“

Mit meinem Elektrorollstuhl kann ich jetzt z.B. nicht aufs Infield fahren ...

Wie steht es um die sanitären Einrichtungen?
Dazu kann ich nicht viel sagen, da wir uns ein Wohnmobil geliehen haben. Aber so wie der Matsch gerade ist, würde ich es auch nicht zu den mobilen Toiletten schaffen. Mein Bändchen konnte ich auch nicht holen. Es hat am Ende drei Stunden gedauert einen befestigten Weg zu finden und es überhaupt zum Abhol-Stand zu schaffen. Anfangs hatte ich noch einen Freund mit meinem Behindertenausweis losgeschickt, aber den haben sie einfach wieder zurückgeschickt.

Welche Band würdest du am liebsten sehen bzw. hättest du am liebsten gesehen?
Ministry kommen ja heute. Außerdem hätte ich gerne Eluveitie gesehen, durfte ja aber nicht aufs Infield. Testament gestern noch. Foreigner fand ich übrigens sehr schlecht.

Gibt es eine lustige Festivalgeschichte, die du mit uns teilen willst?
Einmal hat mein Bruder mit einer Wasserpistole auf Burning Spear geschossen, da gab es dann Ärger mit den Bodyguards. Die fanden das gar nicht lustig, obwohl es doch so ein warmer Tag war.
Ich war auch mal bei den Ärzten und saß da so in meinem Rolli rum. Da kam irgendwann Bela B. von selbst zu mir und hat mit mir ein bisschen Smalltalk gemacht und mir viel Spaß gewünscht. Das fand ich ganz cool.