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"Ich dachte: Kann ich nicht"

Das Leben von Katya, Dana Anderson und Willing Witness


Mit wenig Geld und kaum Erfahrung, aber mit viel Herz, Verständnis und Power, engagiert sich Katya für ein diverseres Bühnenbild, kämpft für die Akzeptanz aller Geschlechter und setzt sich für ein alternativeres Musikangebot ein.

text Leonie Ruhland
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Leon Salner

lesezeit 7 Minuten

Es sind nicht die besten Voraussetzungen, mit denen sich Dana Anderson an diesem Sonntagvormittag hinter das DJ-Pult stellt. Erst vor einer Stunde kam die Ansage: “Deine Playtime wird vorverlegt.” Statt um 13:30 Uhr spielt Anderson nun um 11:00, eine Zeit, zu der die meisten Festivalbesuchenden entweder gerade zu Bett gehen, nachdem sie die ganze Nacht durch den Techno-Wolf gedreht wurden, oder erst langsam wieder aufstehen, wenn sie sich nachts von den Tanzflächen reißen konnten. Entsprechend leer ist der „Bei Birke“-Floor auf einem Festival in Ostdeutschland als die ersten Töne erklingen. 

Dabei hat sich Dana Anderson so gut vorbereitet. Zwei Wochen zuvor im Fabrikkeller des Hamburger Gängeviertels, der auch als Proberaum dient: Eine 1,75 Meter große Person stellt drei schwere Koffer auf den DJ Pult des Kellerzimmers, das mit seinen steinernen Wänden, der bunten Deko und dem abgestandenen Zigarettengeruch noch an Party erinnert. Die Person trägt Jeans und ein kurzärmliges Hemd mit kantigem Mustern in lila, blau und hellgrün. Durch ihre schmale Figur und den schulterlangen, glatten Haaren, würde man sie vermutlich als weiblich lesen. Aber Katya, die Person hinter dem DJ Alias Dana Anderson, ist nicht-binär. 

Die ersten Schritte gehen

Katya hebt zwei CDJs und einen Mischer aus den Koffern heraus. CDJs sind Abspielgeräte speziell fürs Auflegen. Sie sehen ein bisschen aus wie kleine Hightech-Plattenspieler mit vielen Knöpfen, die bunt leuchten, bloß, dass da keine Platte aufgelegt wird. Über einen kleinen Bildschirm laufen die Tracks und Songs, die von einem USB-Stick drauf geladen werden. Über das Mischpult können die verschiedenen Bestandteile der Musik dann gesteuert und bearbeitet werden. Bass rein, Bass raus, Instrumente in den Vorder- oder Hintergrund, Höhenlautstärke nach oben oder unten, und so weiter. 


Um diese ganzen Tonlagen auch korrekt über eine schallende Anlage bringen zu können, gehört natürlich auch ein Gewirr an Kabeln dazu. Die steckt Katya gerade mit ihren schmalen Händen gezielt in die entsprechenden Zugänge und sagt: “Vor 15 Jahren konnte ich nicht mal eine High-Fi Anlage aufbauen, ich hätte mir das niemals zugetraut.“

Weil es keine Vorbilder, keine Lehrer*innen gab.

„Und auch, weil ich einfach dachte: Kann ich nicht. Aus einer Überzeugung, die ich offensichtlich damals hatte.“ Katya redet sehr ruhig, sehr besonnen. Manchmal muss man sich beinahe konzentrieren, um alles mitzubekommen. Fast glaubt man, Katya sei eher introvertiert. Aber wenn man eine Weile spricht, kriegt man eher das Gefühl, dass da einfach ein Mensch sitzt, der sehr genau über das nachdenkt, was er sagen möchte. 

Katya wuchs im heutigen Kasachstan auf – damals noch Sowjetunion – und kam im Alter von neun Jahren ins Ruhrgebiet. Nach einer Tanzausbildung, einem Studium in Kunst-Medien-Ästhetische Bildung & Performance Studies und einigen Performance-Projekten, entdeckte Katya durch eine Kommilitonin das Auflegen. Die beiden boten einen mehrtägigen Workshop an: DJing und Kontaktimprovisation. Von den Klangkünsten war letztlich nicht nur das Publikum prägend begeistert. „Das hat mich so geflasht, dass ich das weiter lernen wollte.“ 

Crewlove

Aber die Geräte für solch ein Hobby sind teuer. Und das Geld hatte Katya nicht. Immer wieder mussten Freund*innen herhalten, die glücklicherweise gerne teilten. Dann gab es ein Treffen von female:pressure in Berlin, ein internationales Netzwerk für FLINTA*-Personen innerhalb elektronischer Musik und digitaler Kunst, bei dem bspw. Begebenheiten wie die Überzahl männlicher DJs am Set thematisiert wurden.

Von einer „unterstützenden und empowernden Atmosphäre“ inspiriert, beschloss Katya, so etwas auch in Hamburg zu veranstalten.

Mit Erfolg. Innerhalb kürzester Zeit schloss sich eine kleine Gruppe zusammen, um miteinander Musik zu machen und voneinander zu lernen. Mit dem Keller der Gängeviertel-Fabrik fanden sie einen Ort, in dem sie nicht nur proben, sondern auch Equipment borgen konnten. Kosmos & Krawall war geboren.

„Kosmos & Krawall ist als Support- und Home-Base gedacht“, erzählt Katya. Untereinander bringen sie sich auf den neuesten Stand, schieben sich gegenseitig Gigs zu oder werden auch mal als Kollektiv angefragt.

Da sie eine reine FLINTA*-Gruppe sind, geht es auch um Schutz, denn die DJ-Welt ist nach wie vor sehr männlich dominiert.

Da hilft es, von einem gemeinsamen Erfahrungsschatz zu lernen. Vor allem aber geht es um Vertrauen und um Anerkennung. „Wir schätzen uns gegenseitig und selber in unserer Einzigartigkeit“, sagt Lisa. Sie ist Teil des Kollektivs, seitdem Katya durch das Musikvideo ihres damaligen Freundes in ihr Leben tanzte und ihr anschließend das Auflegen beibrachte. „Ich schätze den Mut zur Crazyness. Katya trifft immer einen geilen Vibe und hat was sehr Eigenes, was ich gar nicht so in Worte fassen kann.“

12.30 Uhr, „bei Birke“-Floor. Durch ein Dach aus weißen und blauen Kacheln, die etwas an Origami erinnern, lassen Sonnenstrahlen kleine helle Muster auf dem strohbedeckten Boden entstehen. Der Floor ist inzwischen angenehm gefüllt und hinter den Decks freut sich Katya über den Support, der die ersten Reihen eingenommen hat: Die Kolleg:innen von Kosmos und Krawall haben es aus ihren Zelten geschafft. 

Das Saftige in der Mitte

Wer bei Dana Anderson einen dicken Bass nach dem anderen erwartet, wird enttäuscht. Die Harmonien prallen aneinander. Auf doll folgt sanft folgt verspielt. Auf Dana muss man sich einlassen können, aber wer das tut, wird belohnt: Dana spielt eine Reise – im wahrsten Sinne. Kein Track gleicht dem nächsten und jeder einzelne ist ein Ausflug für sich. Während man im ersten Moment auf flippigen Beats Rumzuspringen sucht, lässt der nächste Ton einen über den halben Floor schweben. „Ich kenne glaube ich keine:n DJ, die einen schönen Downtempo spielt und dann ein Techno-Track drunter pitcht. Es gibt immer ein Surprise,“ sagt Kosmos&Krawall Kollegin Lisa. 

„Ich merke, mir macht’s am meisten Spaß, wenn Tracks eine ausgearbeitete Songstruktur haben, also wenn sie etwas erzählen. Ich genieße es, wenn der hohe Frequenzbereich subtiler ist, dafür mehr basshaltig, und dann was Saftiges in der Mitte sitzt,“ erklärt Katya im Proberaum, während im Hintergrund leise der Track „Dramatic Sunset“ von AEVA anläuft. „Je mehr Instrumente und je mehr Liebe darin stecken, desto mehr gefallen sie mir.“ Die Auswahl der Musik ist ein langer Prozess. Tracks müssen angehört, ausgesucht, gekauft werden. Katya geht da teilweise nach Geschwindigkeit. Meist vor allem aber nach Geschmack und Gefühl. Den eigenen Sound dabei nicht zu verlieren, ist gar nicht so leicht. Weil es inzwischen so viel gibt.

Und dabei die Musik zu finden, mit der Dana Anderson eine Geschichte erzählen kann, die Katya auch gefällt, ist immer wieder herausfordernd.

Im Fabrikkeller blendet Katya die etwas langsamere, träumerische Melodie vorsichtig ab und ersetzt sie durch einen schnelleren Takt, eine Art helles Trommeln erklingt. „Ich habe manchmal den Eindruck, dass die eigenen Hörgewohnheiten immer spezifischer werden und bis du wirklich das findest, das sie trifft, ist echt schwierig.“ Außerdem werde ja auch die eigene Erwartungshaltung immer höher. Und dann sind da noch die Hörerlebnisse. Katya hat nämlich die Theorie, dass sich unsere Gehirne bestimmte Klänge abspeichern, wenn mit ihnen positive Erlebnisse gemacht wurden. Wenn sie dann erneut ähnliche Musik hören, erinnern sie sich „und dann passiert da was.“ 

Mehr Diversität auf Bühnen!

Deshalb sei es wünschenswert, die Musiklandschaft wieder diverser zu gestalten. Es gebe zwar immer mehr Künstler*innen und stetig neue Musikevents, aber oft bekomme man den Eindruck, dass auf allen Floors das Gleiche läuft. Gerade für die Peaktimes scheint ein Techno-Ton den Bookern am liebsten, was für Gäste mit anderen Vorlieben enttäuschend sein kann. Auch Menschen, die zum ersten Mal auf ein Festival kommen, sollten die Erfahrung unterschiedlicher Musik machen, findet Katya. Denn wie gesagt: Wenn wir kein positives Erlebnis mit gewissen Dingen machen, nehmen wir sie gar nicht erst in unseren Möglichkeitsraum auf. 

Vielfältigkeit auf die Bühne bringen, das will die Booking Agentur EQ:Booking, bei der Katya als Artist gelistet ist.

Übrigens nicht nur als Dana Anderson, sondern auch mit ihrem Techno-Alias Willing Witness. Die Agentur gibt es seit drei Jahren und vertritt vor allem Künstler:innen, die sowohl musikalisch als auch biografisch diverser aufgestellt sind, als die Artist-Listen gängiger Clubs. Das EQ:-Team wird oft für einen ganzen Floor angefragt, wie beispielsweise auf dem Hamburger Vogelball, für den sie sich dann ein queer-charakteristisches Konzept überlegen, das mit dem Gesamtkonzept des Festivals einhergeht. Dass Katya hier eine Doppelrolle innehat und auch Teilhabende der Firma ist, überrascht kaum. „Katya ist aktiv auf uns zugegangen und hat angeboten, mitzumachen“, erzählt Hark Hempen. Er ist Mitgründer von EQ:. 

Dana Anderson, Willing Witness, Musik, Tanz, Performance, Workshops. Katya bewegt sich wahrlich zwischen Welten. „Ich finde das erstaunlich,“ sagt Hark dazu und fügt an, dass Katya bei all dem stets achtsam mit ihren Mitmenschen bleibe. Im Team schätze man die klaren Absprachen und die Fähigkeit zur gewaltfreien Kommunikation sehr. „Katya bleibt immer bei sich, anstatt den Fehler bei anderen zu suchen oder andere anzugreifen.“

Das Ding durchziehen

Im Proberaum hat sich Katya inzwischen ihrem Laptop zugewendet und öffnet ein Profil auf Soundcloud. „JAMIIE“, laut dem Profil eine weiblich gelesene Person mit lockigem Mittelscheitel, spielt Afrohouse, House und Beathouse. Sie ist die Künstlerin, die „bei Birke“ eigentlich vor Dana Anderson hätte spielen sollen. „Ich skippe dann durch das Set und schaue, was passiert da so: Was ist hier im Breakdown los, welcher Track wird als Letztes gespielt. Um ein Gefühl dafür zu kriegen, wer dieser Mensch ist.“ Die Sets vom nächsten Profil gehen eher in eine 80s Richtung. Also ganz was anderes. Katya versinkt in Gedanken, murmelt vor sich hin, klickt durch ein Set. Bis der Entschluss kommt:

„Joa, dann gibt’s eh einen Cut, dann kann ich voll mein Ding durchziehen. Dann würde ich irgendwas zwischen 110 und 116 BPM spielen.“

Letztlich sind Katyas Bemühungen hinfällig. Denn JAMIIE hat es nicht zu ihrer Spielzeit geschafft und Dana Anderson muss spontan einspringen. Auf dem Birke-Floor lässt sich Katya von der gezwungenen Umstellung jedoch nichts anmerken. Und verbreitet hinter ihrem Pult neben stimulierenden Klängen auch eine ansteckend ausgelassene Stimmung.