Auf dem Gelände befindet sich ein Unverpacktladen und das Veranstaltungsdatum richtet sich selbstverständlich nach den Vogelbrutzeiten: Das Skandaløs bringt Nachhaltigkeit und Kultur zusammen und hat sich dabei hohe Ziele gesetzt. Unsere Autorin Kris hat mit Benedikt Maeß und Dirk Petersen darüber gesprochen, welche Maßnahmen sie aktuell ergreifen, um das Festival klimaneutral zu gestalten.
text Kristina Guhlemann
redaktion Henrike Schröder
fotos Till Petersen, Dominik Wagner
Runter von der Landstraße, rauf auf den Acker. Die Luft riecht ländlich frisch, sogar die Sonne scheint und vor einem erstreckt sich das Hülltoft Tief. Ohne Probleme könnte man das komplette Wochenende entweder im kühlen Wasser oder im warmen Sand verbringen – gäbe es da nicht das umfangreiche Festivalprogramm: Zwischen Wimpelgirlanden und Lichterketten gibt es etwa ein Mini-Kino im Wohnwagen, einen Wellness & Yoga Bereich, sowie einen "Dorfplatz" mit regionalem Essensangebot. Außerdem werden Exkursionen in die Umgebung, etwa zu heimischen Landwirten, veranstaltet.
Der nachhaltige Schwerpunkt des Festivals ist dabei unübersehbar. Deswegen hat sich Autorin Kris mit Benedikt Maeß und Dirk Petersen zusammengesetzt. Bene ist beim Skandaløs für die Infrastruktur und die Festivalleitung zuständig und Dirk hat das Festival mitbegründet und kümmert sich aktuell um die Gesamtkonzeption. Beide treiben das nachhaltige Konzept des Festivals überzeugt voran.
Warum ist euch Nachhaltigkeit auf eurem Festival so wichtig?
Bene: Das entstand aus einem intrinsischen Gedanken, den wir auch im Alltag leben. Irgendwann wurde daraus das Ziel, dass wir an diesem Wochenende mit weniger Impact leben, als wir das zu Hause tun würde. Das ist einerseits gar nicht so leicht, weil man extra hier hin fährt. Andererseits nutzt man viel gemeinsam – also Duschen, Toiletten und Infrastruktur – was man in seinen eigenen vier Wänden alleine nutzen würde. Das Ziel wird außerdem von unseren Besuchenden mitgetragen. Und ich finde, wenn Leute zum Skandaløs kommen, weil man hier sehr auf Nachhaltigkeit achtet, dann ist das ein toller Grund.
Ihr kommuniziert das Thema sehr direkt, aber auch indirekt, indem ihr es durch das ganze Festival tragt – etwa durch den Unverpacktladen, die Fahrrad Anreise und den Erzeuger*innen Markt.
Dirk: Genau. Aber es geht für uns noch weiter. Auf der einen Seite ist uns allen klar, dass Veranstaltungen eine krasse Ressourcenverschwendung sind. Es ist überhaupt nicht nachhaltig, spontan für zwei Tage etwas aufzubauen, nur um es dann direkt wieder abzubauen. Aber ich sehe das als Aufgabe unserer Zeit – ganz platt und groß gesagt – dafür Lösungen zu finden. Bei uns arbeiten vor allem junge Leute, die sehr agil sind. Dadurch sind wir in der Lage, einer neuen oder auch einer anderen Generation zu zeigen, wie es funktionieren könnte. Das ist die größere Dimension, für die vielleicht ein paar Antworten oder Ideen aus dieser Branche kommen können.
“Ich finde, wenn Leute zum Skandaløs kommen, weil man hier sehr auf Nachhaltigkeit achtet, dann ist das ein toller Grund.” – Bene
Es gibt ja auch wenig Orte, an denen so viele junge Menschen zusammenkommen und Ideen aufnehmen, die sie sonst nicht aufnehmen würden. Dadurch sehe ich sehr viele Einflussmöglichkeiten bei den Festivals, den Besuchenden zu zeigen, wie sie auch im Alltag nachhaltiger agieren können.
Dirk: Das direkt zu zeigen ist natürlich super, aber auch sehr aufwändig. Das Stromkabel, das hier liegt, das sieht keiner. Aber das ist halt richtig cool.
Wie lange hat das Verlegen gedauert?
Bene: Das Verlegen ging relativ schnell. Wir haben Hand in Hand mit dem Netzbetreiber und anderen Firmen zusammengearbeitet. Die Vorbereitung hat Jahre gedauert. Allerdings ist auch dabei die Unterstützung vom Netzbetreiber und auch den Anwohnern richtig gut. Wir haben wahnsinniges Glück, dass die Leute, die direkt am Gelände wohnen, das Festival nicht nur tolerieren, sondern unterstützen. Zum Beispiel mussten wir Lichtmasten aufstellen, um für Beleuchtung in Bereichen zu sorgen, zu denen man keine Kabel legen kann. Generatoren fallen für uns weg. Deswegen haben wir mit Nachbarn gesprochen, ob wir zum einen auf deren Grundstücken Stromkästen errichten dürfen oder ganz direkt von deren Strom Licht betreiben dürfen. Und die haben dankenswerterweise alle zugesagt.
Dirk: Aber wir bemühen uns auch wirklich darum, die Leute abzuholen. Wir haben Treffen in dem Landgasthof veranstaltet, damit die Leute Fragen stellen können und wenn sie Sorgen haben, zu uns kommen können. Außerdem haben wir alle Leute, die drumherum wohnen, zu einer Begehung eingeladen und mit Freikarten für das Festival versorgt.
Feiern im Naturschutzgebiet
Wir sind hier im Hülltoft Tief – ganz im Norden von Schleswig-Holstein, am Rand eines Naturschutzgebietes. Das macht es als Standort ja nicht gerade einfach, oder?
Dirk: Wir haben 2018 versucht, hier eine feste Bleibeperspektive zu bekommen – das heißt, dass die Fläche ein Nutzungsrecht hat als Veranstaltungsfläche. Damit sind wir damals schnell auf Barrieren gestoßen. Deswegen haben wir 2019 beschlossen, dass wir nicht weitermachen, wenn wir diese Bleibeperspektive nicht bekommen. Das Festival kam in der Region allerdings so gut an, dass sich die Stimmung gewandelt hat und die Unterstützung größer geworden ist. Daraufhin haben wir sehr viele Prozesse losgetreten. Wir haben nach Standortalternativen gesucht und viel mit den Gemeinden und dem Kreis gesprochen. Wir haben jetzt die große Hoffnung, dass wir noch Ende diesen Jahres oder Anfang nächsten Jahres klar wissen, ob wir diese Fläche mitgestalten und langfristig als Veranstaltungsort nutzen können.
Bene: Das große Problem an dem Standort ist einfach, dass es keine Infrastruktur gibt. Es gibt keinen Stromanschluss und kaum stabile Wasseranschlüsse. Und jedes Mal Wasserleitungen und Stromkabel hinlegen, eingraben und am Ende wieder ausgraben kostet einfach irre viel Geld, ist ein enormer Aufwand und auch ein recht großes Risiko. Denn wir hatten früher lauter Dieselgeneratoren rumstehen, die wahnsinnig oft ausgefallen sind. Die wurden von Hamburg hier hochgefahren, was literweise Sprit verbrannt hat – in ein Bundesland, was einen Überschuss an Windenergie produziert. Deswegen haben wir zu diesem Jahr schon angefangen, obwohl das Nutzungsrecht noch nicht feststeht, Initiativen zu ergreifen. Keine Generatoren mehr auf diesem Festival zu haben, war für den Verein ein wichtiges Ziel – und das haben wir geschafft. Wir sind jeden Generator losgeworden, was einen wahnsinnigen Aufwand bedeutet hat: Wir haben die Trafostation umgebaut, Stromanschlüsse gebaut und riesige Kabel verlegt. Aber es hat sich gelohnt. Wir hatten noch nie so ein stabiles Stromnetz.
Und das mit Windenergie?
Dirk: Das ist ein Strommix, aber hier in Nordfriesland ist die Windenergie einfach so relevant, dass man davon ausgehen kann, dass hier die meiste Energie aus dem Wind kommt.
Wegen der Brutzeit musstet ihr euer Festival etwas nach hinten verschieben, habe ich gelesen. Wie gut passen für euch Vogelschutzgebiet und Festival zusammen?
Dirk: Mittlerweile sind wir sogar zwei Wochen hinter dem Ursprungstermin. Es gibt unterschiedliche Einschätzungen von unterschiedlichen Mitarbeiter*innen der Naturschutzbehörde, bis wann hier welcher Vogel eventuell brüten könnte. Das wird allerdings nicht auf Grundlage von Befunden getroffen, sondern auch manchmal durch Lehrbücher, in den zum Beispiel steht, dass eine bestimmte Vogelart theoretisch spät brütende Individuen haben könnte, die bis dann und dann brüten. Für uns ging es darum, zu gucken, wie wir das Festival verstetigen können. Letztendlich haben wir mit der Naturschutzbehörde besprochen, dass wir noch ein Wochenende nach hinten gehen, wenn wir dafür die Versicherung bekommen, nicht mehr jedes Jahr um Erlaubnis fragen zu müssen. Sodass wir das Festival unter den auferlegten Bedingungen veranstalten können.
“Wenn allein 10 % weniger Leute mit dem Auto anreisen, ist das viel relevanter, als wenn wir sechs Generatoren einsparen.” – Dirk
Wie übertragt ihr denn das Thema Naturschutz und Nachhaltigkeit in euer Rahmenprogramm?
Dirk: Es gibt zwei Spaziergänge, die vom Naturkundemuseum Niebüll organisiert werden und etwas zur Natur, den Menschen und der Lebenskultur erzählen, sowie Touren zu Landwirten in der Umgebung. Und wir hatten gestern ein Panel von Landwirten aus dem Ort zur nachhaltigen Landwirtschaft. Dabei ging es darum, zu zeigen, dass man sich hier bereits mit dem Thema auseinandersetzt – ohne von der Bundespolitik gesagt zu bekommen, wie es gemacht werden soll. Wir würden gerne noch Vogel-Touren im Kanu anbieten – das dürfen wir allerdings nicht wegen dem Vogelschutz.
Und wie geht ihr generell an das Thema Nachhaltigkeit? Welche Aspekte sind euch wichtig?
Dirk: Wir haben uns vor einigen Monaten hingesetzt, um uns mit dem Thema auseinanderzusetzen und waren auf verschiedenen Veranstaltungen, auf denen es explizit darum ging. Zum Beispiel ist es extrem, wie weit unsere Besucher*innen teilweise anreisen. Deswegen haben wir uns mit der NAH.SH, der schleswig-holsteinischen Bahngesellschaft, zusammengesetzt und ein Konzept entwickelt, mit dem man Anreize schafft, mit der Bahn zu kommen. Dann kam allerdings das 9€-Ticket und hat das ganze Konzept obsolet gemacht.
Dann für nächstes Jahr!
Dirk: Genau. Wir haben außerdem die Womo- und Parkticket-Gebühren erhöht, um Anreize zu schaffen, anders anzureisen und gleichzeitig das Geld zu nehmen und woanders zu reinvestieren. Zum Thema Ernährung haben wir überlegt, dass wir mehr nachhaltige Stände und weniger Fleisch anbieten möchten. Deswegen gibt es Fleisch nur regional auf dem Dorfplatz und der Rest ist vegetarisch oder vegan. Außerdem haben wir überlegt, wie wir Abwasser sparen können, denn es gibt hier kein Abwassernetz. Wir müssen alles sammeln und abtransportieren. Bis 2019 haben wir deswegen jeden Tropfen nach Flensburg in die Kläranlage gefahren. Mittlerweile trennen wir Grau- und Schwarzwasser voneinander und können das Grauwasser hier in der Nähe einleiten. Zusätzlich nutzen wir ökologische Trenn-Toiletten, wodurch wir am Ende nur noch einen LKW an Schwarzwasser wegfahren, den wir vermutlich sogar hier in der Nähe irgendwo verklappen können. Das sind viele kleine Stellschrauben – manche wichtiger, manche weniger wichtig, aber trotzdem alle relevant. Wir sind auch dabei, eine CO2 Bilanzierung zu machen. Deswegen befragen wir gerade die Leute, die anreisen, wie sie angereist sind, von wo und mit wie vielen Leuten sie im Auto saßen. Denn wir haben ausgehend vom Verbrauch der Dieselgeneratoren im Vorhinein mal hochgerechnet, wie hoch der Spritverbrauch der PKWs ist.
Etwa 20 Mal mehr, habe ich gelesen.
Dirk: Genau. Aber das ist sehr konservativ gerechnet. Realistisch gesehen wird das viel mehr sein. Und das heißt für uns, wenn allein 10 % weniger Leute mit dem Auto anreisen, ist das viel relevanter, als wenn wir sechs Generatoren einsparen.
Die meisten Leute geben nach dem Festival einen leeren Müllsack ab, weil sie selber darauf achten, keinen Müll mitzubringen oder wenn sie welchen mitbringen, ihn selber abtransportieren.
Nachhaltigkeit leben – auch auf dem Campingplatz
Bene: Was die Umsetzung von Maßnahmen angeht, haben wir recht schnell gemerkt, dass sehr viel von den Besuchenden abhängt. Wir liefern die Grundstruktur, aber wenn nicht mitgezogen wird, können wir nur im begrenzten Rahmen was ausrichten.
Dirk: Also entweder wir haben sehr großes Glück mit unserem Publikum oder wir haben gute Erziehungsarbeit geleistet. Denn wenn man sich zum Beispiel die Müll-Runde anguckt, die wir auf dem Campingplatz drehen, wenn alle abgereist sind, dann ist die mittlerweile wahnsinnig reduziert. Man muss wirklich unter den Grashalmen gucken, um überhaupt eine Kippe zu finden. Die meisten Leute geben nach dem Festival einen leeren Müllsack ab, weil sie selber darauf achten, keinen Müll mitzubringen oder wenn sie welchen mitbringen, ihn selber abtransportieren. Das ist wirklich sehr dankbar. Hier gibt es keine umgeknickten Pavillons oder Sofas, die am Ende rumstehen.
Bene: Dabei ist es nicht nur Erziehungsarbeit durch uns, sondern auch andersrum. Unsere Besucher*innen kommen auch auf uns zu und sagen, dass sie sich eine bessere Fahrrad Infrastruktur wünschen oder dass wir die Lichtmasten möglichst früh ausmachen sollen.
Ihr macht das CO2 Tracking ja dieses Jahr zum ersten Mal. Wie geht ihr dabei vor?
Dirk: Wir werden vom Institut für Zukunftskultur gefördert, das unsere CO2 Bilanzierung begleitet. Von uns übernimmt das eine Person federführend, die die Ergebnisse zusätzlich über einen längeren Zeitraum in eine Öko Bilanzierung einfließen lässt. Unser erklärtes Ziel ist allerdings auch, dass wir uns selber in dem Bereich durch Seminare weiterbilden, damit wir die Kompetenz bei uns im Verein haben.
“Ansonsten haben wir Fördermittel-Akquise des Todes betrieben. Wir haben alles abgegrast, was irgendwie geht und dadurch viele Investitionen tätigen können, die uns langfristig helfen, in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen.” – Dirk
Oft kommt ja das Argument, Nachhaltigkeit würde zu viel kosten. Wie sieht es bei euch aus?
Bene: Klar, der Strom-Umbau ist eine große Eigeninvestition gewesen.
Dirk: Aber wir haben aufgrund der Bedingungen, dass wir eben nie wussten, wie es weitergeht, auch nie Investition getätigt und fangen jetzt erst damit an. Was den Strom angeht, hatten wir letzte Woche ein Gespräch mit einer Windenergie Firma darüber, ob die die Investitionskosten trägt und dafür einen längerfristigen Sponsoring Deal mit uns bekommt – also „powered by“, weil es de facto so wäre, wenn sie uns die Infrastruktur und die Stromkosten zahlen. Ansonsten haben wir Fördermittel-Akquise des Todes betrieben. Wir haben alles abgegrast, was irgendwie geht und dadurch viele Investitionen tätigen können, die uns langfristig helfen, in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen.
Bene: Ökotoiletten haben wir zum Beispiel teilweise gekauft. Wir arbeiten zwar sehr gerne mit finizio zusammen. Aber die kommen aus Eberswalde und das ist absolut nicht um die Ecke. Das bedeutet: Transportwege. Und da finizio eh einen Haufen abstoßen wollte, haben wir den genommen. Damit schaffen wir auch die Möglichkeit, dass die Toiletten hier in der Region auf Dauer weiter genutzt werden können.
Aber eure Abfälle gehen alle noch in diese Pilotanlage von finizio in Eberswalde?
Bene: Ja, aber wir hoffen sehr, dass sich das auf Dauer ändert und wären dabei, sowas in der Region einzurichten. Denn die meisten Häuser, die man hier mit dem bloßen Auge sieht, sind nicht an das Klärnetz angeschlossen. Die haben alle Kleinkläranlagen hinter ihren Häusern.
Gibt es ein Nachhaltigkeitsprojekt, das dieses Jahr noch nicht geklappt hat, aber ihr im nächsten Jahr gerne umsetzen möchtet?
Dirk: Es gibt ein Big Picture für uns, um Kultur und Natur zusammenzubringen. Wir würden gerne für mehr Natur sorgen durch mehr Grünflächen. Wir würden gerne Bäume pflanzen und ein paar Blühwiese anlegen. Das Problem dabei ist: Wenn wir für mehr Natur sorgen, kommen wieder Vögel und andere Tiere, die wiederum unsere Veranstaltung gefährden. Deswegen haben wir auch schon angefangen, Lobbyarbeit zu betreiben und mit der Politik zu sprechen. Wir wollen gemeinsame Nutzungskonzepte für Natur- und Kulturräume schaffen. Und dafür brauchen wir Lösungen.
Habt ihr dabei ein konkretes Ziel in Sicht?
Dirk: Wir rechnen damit, dass die Flächennutzungsplanänderung bis Ende des Jahres durch ist. Anschließend hat das Innenministerium noch ein Vetorecht – was im Prinzip aber eine Formalie ist, solange das nicht in irgendeiner Form sicherheitsgefährdend ist. Das heißt, wir haben das konkrete Ziel, dass das bis Ende des Jahres umgesetzt wird.
Daumen sind gedrückt.