Magazin

Neugier, Weltoffenheit und Gegenwartsbeobachtung

Das Spektrum 2022 im Interview


Im lebendigen Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, zwischen Elbe und Hafen findet einmal im Jahr das SPEKTRUM, seines Zeichens das größte reine Hip-Hop und Beatkultur Festival Norddeutschlands, statt. Ohne viel Chichi, dafür mit ganz schön viel Bass.

text & redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Rengtones, Abed Weigel, Marvin Contessi

lesezeit 5 Minuten

Nicht nur das Line-up des eintägigen Events überzeugt immer wieder aufs Neue, auch die Gedanken und die Leidenschaft, die die Veranstaltenden in das Festival stecken, spürt man mit jedem auf- und abwippenden Hip-Hop Arm.

Wir haben mit Eike Eberhardt, Konzepter und Texter bei Kopf & Steine, der Agentur hinter dem Festival, über die Werte des SPEKTRUM, die Verbundenheit zur Location und die Zukunft gesprochen.

Steigen wir mal mit einer leichten Frage ein: Was war dein Highlight beim diesjährigen Spektrum? 
Eike: Das es überhaupt stattgefunden hat. Ich habe, wenn ich ehrlich bin, echt super wenig vom Festival gesehen und kann dadurch gar nicht so viel zum Programm sagen. Aber ich bin ein riesiger Fan, vor allem von den Leuten, die unser Festival besuchen. Ich hab das Gefühl, man erkennt sie auch außerhalb des Geländes - es ist eine Interessensgemeinschaft.

Hast du das Gefühl, dass sich das Festival verändert hat, im Gegensatz zu den Jahren vor der Pandemie? 
Ich glaube, es hat sich ganz viel geändert. Einmal ist die Parität im Booking schon länger ein Ziel gewesen, aber das Spektrum befindet sich da auf einem guten Weg. Wir fragen uns: 

Wie kann man ein Hip-Hop Festival machen, das nicht oder das zumindest weniger all die problematischen Ismen der Szene reproduziert und das auch im Bewusstsein und in den Strukturen widerspiegelt?

Natürlich gibt es die hier und da immer noch, aber wir bekommen auch sehr viel Feedback dazu und nehmen das sehr ernst, versuchen das einzuarbeiten.

Ich glaube tatsächlich diese Weiterentwicklung zu einem bewussteren Festival, was auch bedeutet, dass wir das Awarenesskonzept deutlich stärker durchgezogen haben, wir haben das paritätische Booking, wir haben die Kommunikation auch anders aufgezogen - das ist schon so ein Sprung. Vorher ist es mehr Plan gewesen und jetzt Realität geworden.



Es ist ja schon noch was Besonderes, gerade von einem Hip-Hop Festival so ein umfassendes Awarenesskonzept zu haben. Habt ihr das Gefühl, dass euch z.B. Deutschrap-MeToo und die Entwicklungen des Genres im Allgemeinen in der Konzeption des Bookings beeinflussen?
Diese Dinge haben uns krass Rückenwind gegeben. Es ist ja leider doch immer ein Gefecht mit Erwartungen, Ansprüchen und es ist ja auch Bildungsarbeit.

Gerade in unserer urbanen Blase beschäftigen wir uns viel mit solchen Themen, aber woanders passiert das noch nicht so stark. Ob Oberkörperfrei oder das Annehmen von Pronomen — wo wir früher vielleicht noch mehr kämpfen mussten, ist die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein für diese Dinge jetzt mehr geworden.

Ja, das ist mehr so eine gesamtgesellschaftliche Geschichte.

Aber wir begreifen sie als progressiv, als Momentaufnahme Beatkultur.

Und das bedeutet auch, wir können nicht nur in der Beobachtung des Rap Games einen Gegenwartsanspruch haben, sondern auch in der Art, wie wir  das Besucher*innen Erlebnis gestalten.

Du hast es gerade schon angesprochen, was bedeutet euer Motto “Momentaufnahme Beatkultur” genau?
Es gibt ein Spektrum an Interpretationen. Da sind wir immer im Klärungsprozess und es ist auch ein bisschen gut, dass das diffus ist.

Einerseits soll es schon ausdrücken: Wir sind DAS Hip-Hop und Rap Festival in Norddeutschland. Wir wollen uns nicht nur uns an die Bescheidwisser*innen wenden. Ebenso wollen wir ein urbanes Publikum abholen, was nicht zwangsläufig nur Hip-Hop und Rap hört, sondern offen ist. Und wir haben auch viele Grenzbereiche — Beatkultur schließt ja auch Musikproduktion und Elektronisches mit ein.  

Andererseits die Momentaufnahme, also der Blick in den gegenwärtigen Zustand. Da haben wir gar nicht unbedingt den Anspruch, alles abzubilden. Es gibt zum Beispiel nicht den Battlerap Teil bei uns, aber ganz viel anderes, was wir spannend finden, was wir für vielversprechend halten. Und das ist auch so ein Hauch Gegenwartsbeobachtung und Präsentation.

Für alle Veranstaltungen von uns gilt eigentlich, unsere Werte sind Neugier, Weltoffenheit, Gegenwartsoffenheit. Es gibt ja auch noch so viel unerschlossenes. Wir haben jetzt mit Ezhel das erste mal auf einem wirklich großen Slot jemanden, der weder auf deutsch noch auf englisch rappt. 


Der Vogelball findet ja immer nur ein paar Meter entfernt parallel zum Spektrum statt. Wie funktionieren die beiden Veranstaltung miteinander? 
Es gibt natürlich auch gerade im Artist Bereich Hürden, da ein — selbst wenn wir daran arbeiten — immer noch hyper maskulines Spektrum zu haben, neben dem mit einem queeren Booking ausgestatteten und gesellschaftspolitisch und identitätspolitisch nochmal progressiveren Vogelball.

Ich hatte immer das Gefühl, wenn man mal zu viel Geld für eine Reportage in einer kulturwissenschaftlichen Zeitschrift bekommt, kann man schöne Sachen über Männlichkeits-Vorstellungen im Abstand von zehn Metern schreiben. Aber es ist irgendwie auch schön, diese Koexistenz beider Dinge.

Wie sehr seid ihr denn mit eurer Location, also dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, verwoben?
Es gab dieses Jahr so ein TikTok Video, wo Leute gesagt haben: Wir sind Wilhelmsburger, das ist unser Festival. Die haben irgendeinen Geheimweg gefunden, wie sie gratis aufs Gelände kamen, das war schon irgendwie ganz witzig und auf jeden Fall ein relativ gut geklicktes Video, das uns auch nochmal Aufmerksamkeit verschafft hat. *lacht*

Aber ja, wir sind schon sehr mit dem Stadtteil verwoben. Das besondere ist ja, dass die Hamburger Stadtentwicklung schon ewig mit diesem Sprung über die Elbe kämpft und der Festivalsommer, auf dem Hamburg wirklich stolz sein kann - der findet in Wilhelmsburg statt. Wir wissen und spüren auch, dass die Festivals für die Wilhelmsburger eine Belastung sein können, aber es ist eben gleichzeitig auch ein gutes Projekt.

Natürlich könnte man das Spektrum auch irgendwo sonst entstehen lassen, aber es würde ganz viel von seinem Charme einbüßen. 

Wo seht ihr das Spektrum in fünf Jahren?
Ich glaube, der große Plan sieht vor, dass wir vor allem in fünf Jahren noch da stehen, wo wir stehen. Wir haben jetzt eine Zusage für das Gelände bis 2024, aber es gibt natürlich Begehrlichkeiten, da etwas anderes, permanentes hinzubauen. Es ist also nicht ausgemacht, dass wir für immer dort bleiben können.

Ansonsten ist das Schöne an dem Konzept Spektrum ja, dass es sich jedes Jahr wieder neu erfindet, weil es so stark damit korrespondiert, was aktuell spannend ist und was man in dem Moment aufnimmt.

Festivalfinder

SPEKTRUM 2023

05. August – Hamburg


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