Musik statt Touris und Einkaufsmeile: An einem Wochenende im Juli lockt das Nürnberger Bardentreffen Musiker*innen aus aller Welt auf Bühnen und Bürgersteige der fränkischen Altstadt. „Die Welt zu Gast in Nürnberg“ lautet der Untertitel des Umsonst & Draußen Festivals und macht es zu einem Ort für Weltmusik und ein „Mekka für Straßenmusiker“.
interview Celina Riedl
korrektorat Henrike Schröder
fotos Uwe Niklas
Wir haben mit Rainer Pirzkall gesprochen, der mit einer Hand voll Leuten nun schon zum 44. Mal das Festival auf die Beine stellt – und das, ohne auch nur einen Cent Eintritt zu verlangen.
Rainer, stell dich doch mal kurz vor. Wer bist du und was sind deine Aufgaben beim Bardentreffen?
Ich bin der künstlerische Leiter des Bardentreffens in Nürnberg, ein Festival, das vom Projektbüro im Kulturreferat Nürnberg veranstaltet wird. Es ist also eine städtische Veranstaltung, wenn man so will. Meine Aufgabe ist es, neben der Programmauswahl, letztlich die gesamte Organisation des Festivals auf die Beine zu stellen. Klar, man hat natürlich ein Team, das Kernteam ist aber nicht sonderlich groß. Irgendwann wächst jedoch dieses Kernteam mit externen Mitarbeiter*innen auf 120 bis 150 Leute an, die während des Festivals im Einsatz sind.
Im letzten Jahr war das große Hauptthema des Bardentreffens Rhythm and Poetry – Rap, kurz gesagt. Über acht verschiedene Bühnen zog sich das Thema durch die ganze Stadt. Was können wir von diesem Sommer erwarten?
Das Thema 2019 wird lauten: World Wild Accordion. Wir beschäftigen uns mit der wilden Welt des Handzuginstruments und seinen diversen Untergattungen. Klingt ein bisschen sperrig, finden wir aber ganz spannend, weil wir glauben, dass das Akkordeon ein Weltmusikinstrument ist, wie es im Buche steht. Durch seine vielfältigen Bauweisen kommt es in diversen Spielen der Weltmusik vor: im argentinischen oder finnischen Tango, wenn man zum Balkan schaut, den alpinen Regionen oder wenn du in Lateinamerika bist. Was uns hier eher weniger bekannt ist, läuft dort rauf und runter.
Kurios ist: Das Akkordeon ist ein Instrument, das die einen lieben und die anderen hassen, weil sie an diesen wenig geliebten Alleinunterhalter denken müssen. Aber genau das reizt uns daran: Themen zu besetzen, die polarisieren, die erstmal ein bisschen verstören und man sich fragt: Hä, was soll das? Das sind oftmals gleichzeitig Themen, die interessieren und bei denen man, wenn man sich drei Tage auf dem Festival rumgetrieben hat, merkt, dass man ein neues Universum entdeckt hat.
Wie läuft das Booking bei euch ab?
Meistens gehen wir auf die Leute zu, die wir gerne haben wollen. Wir legen den Themenschwerpunkt fest und suchen Bands und Künstler*innen, die passen. Wir bekommen natürlich auch viel zugeschickt. Mittlerweile haben wir ein Netzwerk an Agenturen, Managern und Agenten, die uns kennen und ihre Angebote zuschicken. Viele Künstler*innen schreiben uns auch so und bewerben sich, weil sie gerne spielen wollen. Das sind wahrscheinlich mehrere tausend Angebote. Damit könnte man mehrere Festivals füllen pro Jahr. Dann füllen wir das Line-Up peu á peu auf, sodass es ein rundes und buntes Festival daraus wird.
Neben Bands auf euren Bühnen gibt es aber noch die unzähligen Straßenmusiker*innen, die jedes Jahr zum Bardentreffen strömen.
Genau. Die zweite wichtige Säule unseres Festivals ist die Straßenmusik. Das Bardentreffen hat sich in den letzten Jahren als Mekka für Straßenmusiker*innen etabliert – lustigerweise ohne unser Dazutun. Aber, bedingt durch die Masse, die Scharen von Straßenmusiker*innen, die zu uns kommen, müssen wir das ein bisschen kanalisieren und ein paar Spielregeln aufstellen. Man braucht während der drei Tage keine Genehmigung um in der Nürnberger Altstadt zu spielen. Normalerweise braucht man das als Straßenmusiker*in in jeder Stadt. In München muss man übrigens sogar vorsingen, wenn man sich auf die Straße stellen will. Aber das kann natürlich nur klappen, wenn sich jeder an die Spielregeln hält und zum Beispiel keine strombetriebenen Verstärker benutzt, weil die benachbarten Straßenmusiker*innen dann einfach übertönt werden. Außerdem gibt es gesperrte Bereiche – Brücken, Engstellen – weil jeder/jede Straßenmusiker*in einen Halbkreis an Zuhörer mit sich zieht und dann wird’s auch schnell mal eng.
Wie lässt sich ein Festival in einer Dimension wie das Bardentreffen bei freiem Eintritt finanziell stemmen?
Es gibt drei, eigentlich vier große Säulen: Der städtische Anteil, der allerdings sehr gering ist, einen großen Sponsorenanteil und die Refinanzierung durch Gastrostände. Und dann gibt’s noch eine weitere Säule: die Bitte an das Publikum, zu spenden, etwa durch den Kauf von Programmheften oder Pins. Auch diese Einnahmen fließen in die Refinanzierung und helfen, dass auch zukünftig alle Konzerte bei freiem Eintritt stattfinden können.
Drei Tage Singen, Tanzen und Musizieren von früh bis spät und das mitten in der Stadt: Bei 200.000 Besucher*innen und freien Zugängen ist es sicher eine Herausforderung, den Überblick zu behalten, gerade in Sachen Sicherheit?
Im Grunde genommen sind wir ein eingespieltes Team und haben einen engen Draht zu unseren städtischen Kolleg*innen in den anderen Dienststellen wie dem Ordnungsamt. Dann gibt’s einen sehr guten Draht zu den Polizeiinspektionen, die für uns zuständig sind. Auch die Feuerwehr ist während der drei Festivaltage immer auch als Ansprechpartner mit bei uns vor Ort, schon vor dem Festival, aber auch währenddessen. Es gibt eine Sicherheitsfirma, mit der wir seit Jahren eng zusammenarbeiten, da weiß jeder was er zu tun und zu lassen hat. Das sind gewachsene Strukturen, in jeder Hinsicht, auch was das Publikum anbelangt. Das Publikum weiß, wie es sich zu verhalten hat.
Die Maßnahmen können natürlich keine hundertprozentige Sicherheit gewährleisten, die gibt’s nicht, schon gar nicht, wenn du eine Innenstadt hast, die von allen Seiten zugänglich ist und auch keine Einlässe kontrolliert werden. Aber es gibt Maßnahmen, wie Taschenkontrollen, erhöhter Polizeipräsenz oder Straßensperren, die das Ganze etwas erleichtern.
Wie der Karneval in Köln ist das Bardentreffen die fünfte Jahreszeit in Nürnberg.
Was macht das Bardentreffen so einmalig?
Das Bardentreffen ist für mich ein musikalisches Schatzkästchen, wo man sicher sein kann, dass alles – auf irgendeine Art und Weise – besonders ist und man nicht nur Mainstream zu hören bekommt. Man hat die Möglichkeit, wenn man sich darauf einlässt, dieses musikalische Schatzkästchen an einem Wochenende zu öffnen und man wird mit Sicherheit Musik entdecken, die einen erstaunt.
Darüber hinaus bekommt man etwas geboten, für das man anderenorts gerne mal eine Stange Geld zahlt. Das haben viele nicht auf dem Schirm, weil sie denken: „Was nichts kostet ist nichts wert“, aber wer einmal da war, wird sehen und erleben, dass es hier anders und einzigartig ist. Musiker*innen von der ganzen Welt kommen hier her und bringen ihre Geschichten mit. Die Stimmung in der Stadt ist unglaublich. Die Leute sind offen für Fremdes und Unbekanntes, so eine Offenheit sieht man leider selten das Jahr über. Wie der Karneval in Köln ist das Bardentreffen die fünfte Jahreszeit in Nürnberg.