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Frust und Aktivismus auf der Popkomm 2021

Pop macht Politik!


Die Popkomm ist zurück und versucht im Superwahljahr 2021 Pop und Politik einander näher zu rücken, ihr Spannungsfeld zu erklären und Lösungen für ihre zukünftige Zusammenarbeit zu erdenken. Der dreistündige Streaming-Marathon führt mit popkulturellen Debatten am Corona-Jahr entlang.

text Henrike Schröder
fotos Popkomm

lesezeit 5 Minuten

Spricht man Menschen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Musikbranche arbeiten, auf die Popkomm an, blickt man augenblicklich in strahlende Augen und erahnt ein wissendes Lächeln, das einem verrät: Man hat da irgendwas wichtiges verpasst. Danach folgen dann meist Geschichten, die in Clubs, Kneipen und mexikanischen Restaurants stattfinden, die heute teilweise gar nicht mehr existieren.

In einen dieser Clubs hat Veranstalter Manfred Tari die Popkomm jetzt zurückgebracht: ins Luxor. Denn es gibt „zahlreiche Gründe, die Popkomm neu zu erfinden“, steht es in der Ankündigung. „Popkomm stand und steht für Pop und Kommunikation.“ Und es gibt guten Grund zu reden: über die aktuelle Corona-Politik, über den Stellenwert von Popkultur in der Politik und politisches Engagement. Dafür wurden Vertreter:innen aus den Bereichen Pop und Politik – darunter Karl Lauterbach (SPD), Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), Susanne Henning-Wellsow (Die Linke), Rembert Stiewe (Orange Blossom Special), Sandra Beckmann (Alarmstufe Rot) und Holger Hübner (Wacken Open Air) – nach Köln eingeladen oder digital zugeschaltet. Moderiert wurde der Abend von Isabel Roudsarabi, (Chefredakteurin Höme für Festivals), Susanne Reimann (Journalistin), Steve Blame (TV Moderator) und Michael Westerhoff (freier Journalist). 

„Der Lauterbach ist eingefroren. Den müssen wir nochmal neustarten glaube ich.“

Nach fünf Minuten gibt es bereits die ersten technischen Probleme beim Interview mit Karl Lauterbach. Die gestellten Fragen sind zwar verständlich, doch die Antworten lassen sich nur mit viel Fantasie erahnen. Und während man versucht genau zuzuhören, um die Leerstellen zu füllen, werden im Kommentarfeld bei Youtube Tipps gegeben, woran es liegen könnte. Gegen Ende des Interviews funktioniert es doch, sodass Festivalveranstalter Rembert Stiewe noch fragen kann, was ihn schon spürbar lange frustriert: Warum werden Musikfestivals anders behandelt als Volks-, Schützen-, Stadtfeste und Jahrmärkte, wenn es um die akteulle Personenobergrenze geht? „Epidemiologisch macht diese Unterscheidung keinen Sinn. Ganz offensichtlich nicht“, erklärt Lauterbach nüchtern. Auch rechtens glaubt er, ist das nicht. Stiewes „Danke schön!“ nach Beantwortung der Frage klingt wie ein Ausrufezeichen hinter dem, was ihn seit Monaten zermürbt.

Und damit ist er nicht der einzige. In unterschiedlichen Gesprächsrunden wird immer wieder die Frage gestellt: „Wie ist die Situation?“ Oftmals vorsichtig kleinlaut, um abzuklopfen, wer in der Runde durchhält und wer kurz davor ist aufzugeben. Denn die Situation ist scheiße – oder wie Holger Hübner es ausdrückt: eine Vollkatastrophe. Er musste das Wacken Festival mit 100.000 Besucher:innen auf das nächste Jahr verschieben. Stattdessen soll im September eine kleinere Variante stattfinden. Dafür stehe er im Dialog mit der Politik und Virologen und wird durch den Sonderfond für Kulturveranstaltungen unterstützt. Diese Unterstützung bekommen aber längst nicht alle Festivals. Umsonst & Draußen Festivals etwa gehen leer aus, erklärt Hübner. Denn wer keine Tickets verkauft, bekommt auch keine Zuschüsse.

„Wir sind alle kurz vor dem Zusammenbrechen.“

„Wir können nur auf die Solidarität der Fans hoffen, die dieses Festival mit in die Zukunft tragen wollen“, erklärt Rembert Stiewe zur aktuellen Situation des OBS. Problematisch sieht er vor allem die fehlende Wertschätzung der Veranstaltungs- und Kulturbranche innerhalb der Politik. „Denn zu sagen, wir vertagen die Entscheidung über Stufenpläne und einheitliche bundesweite Regelungen auf August, ist ein Schlag in die Fresse aller Veranstaltenden und all derer die Tickets gekauft haben!“ Darüber hinaus seien die Hilfen der Politik absolut nicht passgenau. Das OBS etwa würde auch von dem Sonderfond nicht profitieren – da es dafür 1 1/2 Wochen zu früh stattfindet. „Wir sind alle kurz vor dem Zusammenbrechen,“ erklärt er: „Für die kleineren und mittelgroßen Festivals, sowie Clubs sieht es düster aus. Das ist – bei allem Verständnis für Maßnahmen, die die Politik ergreifen muss gegen Corona – ein Berufsverbot und ein Gewerbeverbot! Die Clubs und die Festivals waren die ersten die geschlossen wurden und werden die letzten sein, die unter normalen Bedingungen wieder öffnen dürfen!“ 


„Wir müssen uns sichtbar machen und mit einer Stimme an die Politik herantreten!“

Die Lösung? Die Kultur benötigt einen anderen Stellenwert innerhalb der Politik. Das hat auch Sandra Beckmann vom Bündnis Alarmstufe Rot festgestellt: „Wir müssen uns sichtbar machen und mit einer Stimme an die Politik herantreten,“ erklärt sie. Denn das größte Problem der Politik sei es, die Branche überhaupt zu erfassen. 154 verschiedene Branchenzweige und Tätigkeitsfelder in der Veranstaltungswirtschaft mit 56 verschiedenen Veranstaltungsarten hat sie insgesamt gezählt. Wie soll man diese unterschiedlichen Bereiche erfassen? Das funktioniert nur, wenn man sich zusammentut und mit gesammelter Stimme spricht, um dadurch mehr Druck zu erzeugen.

Eine bessere Sichtbarkeit ist auch eine Notwendigkeit, die Marc Wohlrabe (CDU/Livekomm) sieht: Es müssten Kandidaten in den Bundestag eingewählt werden, die sich mit Clubkultur und Kreativwirtschaft auskennen und sich dafür einsetzen, erklärt er. Es reiche nicht aus, außerhalb der Parteipolitik politisches Engagement zu zeigen.

„Wir brauchen mehr Leute aus dem Popkultur- und Musikgeschäft, die Interesse haben politische Kernarbeit zu machen und nicht nur draußen rumstehen und meckern.“

Das könnten zum Beispiel Bundestagskandidat Joe Chialo, Labelchef von Airforce 1 für die CDU, Jens Herrndorff, Manager von Fettes Brot für Bündnis 90/Die Grünen, sowie Daniel Schneider, Chef und Booker des Deichbrand Festivals für die SPD sein, die ihre Ambitionen auch im Rahmen der Popkomm erklären – etwa angesichts der Tatsache, dass Hilfen, die beantragt und bewilligt wurden am Ende wieder zurück gezahlt werden mussten. Jens Herrndorff folgert: „Wir brauchen mehr kulturellen Sachverstand in der Politik. Wir müssen erklären, wie unsere Branche funktioniert!“ Eine Einschätzung die auch Joe Chialo im Kern teilt. Trotzdem ergänzt er, dass das Problem auch an der Branche liegt: „Uns ging es sehr lange viel zu gut. Und das Problem ist, dass wir auf so eine Krise nicht vorbereitet waren.“ Wenn diese Krise überwunden ist, läge es an der Branche selber für die nächste besser vorbereitet zu sein – und das gelte für alle. Auch die Künstler:innen.

Eine unterschiedliche Sprache

Inmitten der der Diskussion um Sichtbarkeit und der Verbindung von Pop und Politik wird ein aufgezeichneter Beitrag von Claudia Roth eingespielt, die vollkommen euphorisch über den hohen Stellenwert von Kultur und speziell Musik schwafelt. „Ja, Musik! Musik ist mein Leben!“ erklärt sie betont energisch, während sie wild mit den Händen gestikuliert und auf ihrem Stuhl unruhig umherwippt. Was danach folgt sind Aneinanderreihungen von Plattitüden über die Bedeutung von Musik und Namedropping von Protestkünstler:innen – die man an sich vorbeirauschen lässt, während man sich ihren Hintergrund genauer anschaut: ein Haufen Bücher und Zeitschriften, die wild durcheinander liegen, links ein abstraktes Bild und rechts ein Bild mit einem Dackel. Nett. …Haltung beweisen! Stellung beziehen. Solidarität. Gesicht zeigen. Stimme erheben. Und so weiter. Nachdem sie die Liste aller Synonyme durchgegangen ist, schlussfolgert sie: „Es braucht verantwortungsbewusste, mutige Menschen und Künstler.“ Und ich denke: Die Popkomm hat Recht, wenn sie auf ihrer Seite schreibt, dass Pop und Politik in Deutschland anscheinend eine grundlegend unterschiedliche Sprache sprechen. 


Und trotzdem sind sich an diesem Abend im Kern alle einig: Es braucht Akteur:innen der Kulturbranche, die in die Politik gehen, damit diese so diverse Branche sichtbar wird und gehört wird. Es braucht politischen Aktivismus, es braucht Künstler:innen, wie Disarstar und Danger Dan, die politisches Engagement zeigen, erklärt Isabel Roudsarabi. Und es braucht Fans, die bereit sind noch ein zweites Ticket für ihr Lieblingsfestival zu kaufen, während das erste verfällt, um es am Leben zu erhalten. Und es braucht Veranstaltungen wie die Popkomm, um sich über diese Themen auszutauschen, um Pop und Politik noch näher zusammenzubringen.

Aber dann braucht es vor allem Menschen, die nicht nur meckern, sondern in die Politik gehen um etwas zu verändern.

Denn in Unterhaltung stecke schließlich das Wort Haltung drin, schließt Ole Plogstedt (Rote Gourmet Fraktion) die Veranstaltung. Und in die Youtube Kommentare schreibt jemand: „… und gleich noch zum virtuellen Mexikaner nebenan... wie damals.“

Für alle, die die Popkomm verpasst haben, gibt es die komplette Veranstaltung auf Youtube zum Nachschauen.