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Reeperbahn Fokus Session - Festivalsaison 2021

“Wir sitzen alle im gleichen Boot und niemand ist schuld.”


Dieses Mal widmete sich der Themenabend des Reeperbahn Festivals der Festivalbranche im Hinblick auf den Sommer 2021. Veranstaltende, unter anderem vom Maifeld Derby und Orange Blossom Special, Booker:innen, Dienstleistende und Wolfgang Schmidt, Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums, sprachen über Erfahrungen aus nun über einem Jahr Pandemie und derzeitige Zukunftsaussichten.

text Sonni Winkler 
fotos Sascha Krautz

lesezeit 5 Minuten

Der Blick sowohl auf das europäische, als auch das deutsche Festivalgeschehen macht zum Anfang des Abends schnell klar, dass es auch dieses Jahr für Veranstaltende und Besuchende keine Rückkehr in die Normalität geben wird.
Doch während der gesamten Veranstaltung zeichnet sich mehr Hoffnung und positive Veränderung ab, als man es zu Beginn hätte vermuten können. Denn die plötzlich entstandene Solidarität aller Kulturschaffender untereinander und vor allem der Zusammenhalt zwischen einzelnen Festivals kommt immer wieder als zentrale Erkenntnis und Entwicklung des letzten Jahres auf. 

Colin Keenan, Agent bei ATC Live spricht zunächst davon, dass es für Artists in der derzeitigen Situation völlig absurd wäre durch Europa zu reisen und für nur einen Auftritt Restriktionen wie Quarantäne auf sich zu nehmen. Er selbst setzt für dieses Jahr vor allem auf Künstler:innen aus den UK und verbucht seine Bands zu großen Teilen bereits für 2022 und 2023. Seines Erachtens nach, wird es noch ein paar Jahre dauern, ehe sich die komplette Live-Branche vom letzten Jahr erholt habe.

Das Update zur derzeitigen Situation der deutschen Festivals zeigt im Anschluss, dass einiger der großen und mittleren Festivals bereits der Pandemie zum Opfer gefallen sind. Jedoch zeichnen sich auch konstruktive Entwicklungen ab. So haben sich beispielsweise die Festivals aus Brandenburg und Niedersachsen jeweils zu einem solidarischen Verbund zusammengetan, um Aufmerksamkeit für ihre Lage zu schaffen.

Beim Thema "Hardware für das sichere Festival" stellen Brigitte Fuß vom Bühnenbauunternehmen Megaforce und Kai Müller von Elbe Entertainment die neuen Lösungen für zukünftige Veranstaltungen vor. Beide Branchenvertreter:innen sind sich schnell einig, dass all diese Maßnahmen die Freiheit auf Festivals noch eine Weile spürbar eingrenzen werden.
Jan Kus, Gründer der Firma Railslove, stellt außerdem ganz klar heraus, dass die Kontaktdatennachverfolgung nur existiere, weil sie so von der Bundesregierung im Infektionsschutzgesetz so festgehalten wurde. Er spricht sich deutlich gegen solche Technologien aus und sagt ganz offen, dass er hoffe, seine eigens zu diesem Zweck neu entwickelte Software bald wieder auf Eis legen zu können. Seines Erachtens solle sich aktuell im besten Fall auf eine anonyme Clusterbildung konzentriert werden, so wie es bei der Corona Warn-App der Bundesregierung bereits geschehe. Im Bezug auf andere Angebote wie beispielsweise die LUCA App verwies er auf die Recherchen und Erkenntnisse der Open Source Community und gab zu verstehen, dass die Millionen, die die Länder dafür auf den Tisch gelegt haben, definitiv in anderen Maßnahmen besser aufgehoben gewesen wäre.

“Wir sitzen alle im selben Boot und niemand von uns ist schuld an der ganzen Sache.”

Im Panel "Was vom Sommer übrig bleibt - Festivals zwischen Hoffen und Planen" kommen im Gespräch der drei Festivalveranstaltenden mehr positive Dinge zu Tage, als man es zu Beginn vermutet hätte. Carsten Helmich vom Juicy Beats berichtet, wie er und sein Team von der Neustart Kultur Förderung und der Überbrückungshilfe III profitiert haben und damit dieses und letztes Jahr kleine Ersatzveranstaltungen organisieren konnten und können. Denn auch 2021 müssen wir auf das reguläre Juicy Beats verzichten. Er spricht außerdem davon, wie sich durch die gemeinsame Planungsunsicherheit eine nähere Verbindung zu seinen Dienstleistenden entwickelt habe.
Timo Kumpf, Veranstalter des Maifeld Derby erzählt, dass er seit 10 Jahren um Förderung gekämpft habe und ausgerechnet in diesem Jahr endlich den Zuschuss erhalten habe. Damit kann er nun das erste Mal mit Ruhe und finanzieller Sicherheit seine in den September verschobene Veranstaltung planen. Er habe sich abgewöhnt frustriert zu sein und blickt optimistisch in die Zukunft. Auch er stelle eine wahnsinnige Solidarität mit anderen Festivalveranstaltenden fest - warum auch nicht? “Wir sitzen alle im selben Boot und niemand von uns ist schuld an der ganzen Sache.”
Rembert Stiewe, Festivalleiter des Orange Blossom Special sieht keine große Hoffnung für seinen geplanten Termin im August und muss damit höchstwahrscheinlich sein Festival schon zum 5. Mal verlegen. Zur Beschreibung der derzeitigen Situation zitiert er einen britischen Agenten:

“At the moment it’s like rearranging deckchairs on the titanic.”

Für ihn sei es wahnsinnig frustrierend ins völlige Vakuum hinein zu arbeiten und sich nach jedem Telefonat zu fragen, wofür er das eigentlich alles gerade mache. Doch auch Rembert spricht davon, dass er sämtliche Förderprogramme in Anspruch genommen habe. Er betont auch noch einmal die wahnsinnige Solidarität der Besuchenden, die letztes Jahr durch Rettermerch und Crowdfounding Kampagnen einen großen finanziellen Anschub leistete. Allerdings gibt der Gründer vom Label Glitterhouse Records deutlich seine Frustration über den fehlenden Rückhalt der Bundespolitik zu verstehen. Seine Hoffnung sei es, dass es in Zukunft weniger Lippenbekenntnisse gebe und die Maßnahmen mehr auf regionale Gegebenheiten angepasst und weniger von der politischen Großwetterlage abhängig gemacht werden.

Zum Thema Sponsoring gibt Lars-Oliver Vogt, President Brand Partnership & Media von Live Nation, ebenfalls ein für die Situation eher positives Signal. Marken verstünden genau den Wert von Live-Musik und Festivals, daher würden, sobald Veranstaltungen wieder stattfinden, genügend Kooperationspartner zur Verfügung stehen. Er betont noch einmal, dass es so schwierig für die Kulturbranche sei in der Politik Gehör zu finden, weil ein zentraler, gemeinschaftlicher Dachverband fehle.

Beim Booking-Panel mit Günther Linnartz, BTA, Vanessa Cutraro, Bubak und Marie-Christine Scheffold, Selective Artists, herrscht große Einigkeit - Artists fehle der Kontakt zum Publikum, dieses Jahr läge der Fokus auf inländischen Künstler:innen und die entstehende Leere des Coronajahres hätte sich positiv als Chance für Newcomer:innen ausgezahlt.

Sina-Mareike Schulte vom Musikland Niedersachen gibt Veranstaltenden im Anschluss wichtige Hinweise für ihre persönliche Förderung an die Hand und betonte, dass auch  Fördertöpfe auf Landes- und Kommunalebene durchaus in Frage kommen können.

Im letzten Panel des Abends sprechen Axel Ballreich, Vorsitzender der Livekomm, Stephan Thanscheidt, CEO von FKP Scorpio, und Wolfgang Schmidt, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, über den Ausblick und die Perspektiven für Festivals. Auch hier setzt sich die optimistische Grundstimmung durch.
Wie zu erwarten wird darüber gesprochen, dass der im letzten Herbst angekündigte Rettungsschirm nun bereits fast ein dreiviertel Jahr auf sich warten lässt. Schmidt erklärt daraufhin in gewohnt politischer Schwammigkeit, was genau es mit dieser Verzögerung auf sich habe. Es gäbe kein Beispielprojekt für solch eine Situation, weshalb die genauen Förderrichtlinien auf die unglaublich diverse Festivallandschaft mit unterschiedlichen Rechtsformen und Veranstaltungstypen erst einmal angepasst werden müsse. Klar sei, dass das Ziel nicht sei, Nichts-Tun staatlich zu subventionieren, sondern jede irgendwie stattfindende Veranstaltung mit sogenannten Wirtschaftlichkeitshilfen zu unterstützen. Stephan Thanscheidt bemerkt später, dass durch hohe Inzidenzen und inkonsistente Entscheidungen Anfang des Jahres das Vertrauen in politische Entscheidungsträger:innen sank, es jedoch durch gemeinsame Gespräche in den letzten Monaten wieder aufgebaut würde. Wichtig sei nun der Mut von lokalen Behörden im Bezug auf kleinere und mittlere Veranstaltungen. Axel Ballreich verweist zuletzt darauf, dass es gern mehr Pilotveranstaltungen geben könne, allerdings muss dabei immer beachtet werden, dass diese auch überdurchschnittlich viel kosten.
Zum Schluss äußert Axel noch die Sorge, dass die zutiefst betroffene Veranstaltungsbranche mit zu wenig Optimismus in die Zukunft in eine neue Normalität blicken würde.
Eigentlich wären die vergangenen drei Stunden ein guter Grund damit anzufangen.


Alle Panels und Talks sind spätestens ab Anfang nächster Woche auf der Konferenz-Plattform nachzuschauen.
Die nächste Fokus Session ist bereits am 7. Mai - zum Thema Pop’n’Politics.