Auf einem einhundert Jahre alten Bauernhof, nördlich von Berlin, findet seit 2015 das Sacred Ground Festival statt. Kuratiert von Musiker Ry X und Produzent und Label-Chef Frank Wiedemann, soll es ein intimer und dennoch offener Ort sein, der idyllische Atmosphäre mit internationalen Acts vereint. Auch die örtlichen Dorfbewohner statten dem Festival einen Besuch ab. Wie sich das Ganze anfühlt, könnt ihr hier lesen.
text Verena Simon
redaktion Tina Huynh-Le
fotos Aline Schäfer, Laura Kai, Hanno Martius, Joris Felix Patzschke
Zirpende Grillen, zippender Reißverschluss, ziepende Luftpumpe im Zelt nebenan, eine Plane, die vom Wind erfasst wird – leichte Erschütterung im Einklang des sonst so astreinen Ruherhythmus. Ausschnitt eines Abends in der Uckermark, in Trampe, auf dem Sacred Ground, auch Steady Ground für uns, denn wir waren schon einmal, schon zweimal hier. Wir kennen uns aus, sind uns sicher, legen gleich los, wiegen, wackeln, hüpfen, zappeln, tanzen durch die Nacht. Fallen lassen fühlt sich leicht an, eintauchen auch, in das lilablassblaue Licht einer Welt, nach der wir uns gesehnt haben, die gleich wieder unsere Welt ist, ohne Umschweife.
Ein Drache, eine Frisbee in der Luft, Kinderlachen. Unerwartet, die vielen Familien. Ein Hula-Hoop-Reifen rollt über die Wiese. Das Absperrseil gegenüber bewegt sich auf und ab und auf und ab und auf und ab. Die Kleine hat es fest im Griff, stützt sich ab, kann kaum stehen. Das motiviert. Wir schlüpfen aus dem Zelt, stehen auf. Wolkenbehangener Himmel. 25 Grad sollen es werden, gefühlt 27 Grad. Kurze Hosen, Blumenröcke, keine Schuhe, erst einmal. Überall dasselbe Bild. Wasserflasche in der einen Hand, Zahnbürste in der anderen Hand. Gemurmel, Gelächter, Gebrummel hinter, vor und neben den Zeltwänden, Geräuschkulisse aus dem Ground. Butterweicher Boden, der erste Bass.
Erstauntes Raunen in der Runde. Hast du das ältere Ehepaar gesehen? Wir begegnen ihnen das erste Mal auf dem Weg in den Wald, auf die Wiesen. Sie gehen Arm in Arm in die eine Richtung, wir in die andere Richtung, sie zum Festival hin, wir vom Festival weg.
Später sehen wir sie wieder. Einige Dorfbewohner an einem Tisch, sie mit dabei, mitten auf dem Gelände mit Blick zur Hauptbühne, auf der wild getanzt wird. Hier können sie gut beobachten, begründen sie. Auch sie haben viel getanzt, damals, zum Tanzkränzchen. Stammtischstimmung. Wir dürfen uns setzen, mit beobachten, mitreden und fragen, warum sie hier sind, warum sie die laute Musik am helllichten Tag nicht stört, warum sie keine argwöhnischen Blicke auf die Fremden werfen oder sich nicht über die Großstädter beschweren, die die leeren Häuser in ihrem Dorf kaufen, um Stadt Land Fluss zu spielen. Vorhin erst sind wir welchen am Gartenzaun begegnet. Abzweigung zwischen Apfelbäumen und Beerensträuchern. Gartengarnitur im Schatten, das Haus wird gerade renoviert, alles selbst gemacht, sagen sie stolz. Auch der Chai für die Festivalbesucher, das Rezept aus der Stadt mitgebracht. Auch sie tragen ihren Teil bei, auch sie kommen, wie alle Anwohner, einfach so auf das Festivalgelände. Schulterzucken. Das ist der Lauf der Dinge, wer weiß schon, ob wir nächstes Jahr noch hier sind, erklären die Älteren, bieten uns Bier an, schwelgen in Erinnerungen, zeigen auf das alte Gutshaus, in dem früher eine Kneipe war.
Die Festivalbändchen fallen auf, wirken fehl am Platz an ihren Armen, dabei sind sie hier doch genau richtig, finden sie. Vor vier Jahren rief ein Neffe aus Berlin an, er hatte eines der ersten Festivalplakate entdeckt. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Schnell wusste das ganze Dorf Bescheid. Altbewährte Mundpropaganda. Zuspruch, zumindest in dieser Runde. Aber viele sind wir ja nicht mehr, sagen sie und stoßen an. Manche sind hier geboren, so wie das Arm-in-Arm-Ehepaar, das dorfälteste Ehepaar mit 83 und 86. Nur eine Frau im Dorf ist älter und nur er ist in Trampe geboren, sie im Nachbarort, doch es fühlt sich längst so an, als wäre auch sie von hier. So viele Jahre sind mit Feldarbeit ins Land gezogen, in den 50ern ist die Scheune abgebrannt, neun Kinder wurden großgezogen. Heute backen sie Kuchen für die Festivalmitarbeiter, sind selbst Mitarbeiter, helfen bei der Parkplatzeinweisung, beim Einlass, lassen die Besucher in ihren Gärten schlafen und duschen. Im Herzstück des Dorfes, der schönen Backsteinkirche, finden die Workshops des Festivals statt. Es kommt uns so vor, als lägen Welten zwischen uns. Als würden wir in dieser anderen Welt eine weitere andere Welt antreffen und doch fühlen wir uns verbunden, weil wir alle gerne hier sind, weil wir unsere Begeisterung teilen.
Pflaumen, Stachelbeeren, Mirabellen, Johannisbeeren am Wegesrand. Jemand hat Obst in Papiertüten gepackt. Wir nehmen uns eine, nehmen uns an der Hand, gehen weiter, miteinander, hintereinander, bilden eine Schneise, ziehen unsere Bahn. Einpendeln zwischen ausruhen und aufdrehen. Morgenhelle Weitsicht, Abstecher ins Feld, wegweisend. Es ist längst nichts ausgetreten, nichts ausgetrampelt. Fußwippen, Fingertippen, unentwegt.