Seit Bekanntgabe der Bundesregierung, dass aufgrund der Corona-Pandemie alle Großveranstaltungen bis 31. August abgesagt werden müssen, wissen wir eines: einen Festivalsommer wie wir ihn kennen, wird es in diesem Jahr nicht geben. Doch was bedeutet das genau? Höme hat mit dem Immergut Festival Veranstalter Björn Kagel über die aktuelle Lage gesprochen.
text Christina Gilch
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Till Petersen
Björn, stelle Dich doch bitte kurz mal vor und erzähl uns wie es Dir in dieser außergewöhnlichen Situation gerade geht.
Aus Neustrelitz kommend bin ich seit jeher mit der Region und eben auch dem Immergut Festival verbunden. Es hat mich musikalisch sozialisiert und mir gezeigt, welche Kraft in gemeinnützigen und ehrenamtlichen Initiativen steckt. So versuchen wir als immergutrocken e.V. auch gerade alles dafür zu tun, dass es doch noch einen Festivalsommer und somit ein Stück Normalität geben wird, auf das man sich freuen kann. Ich bin im Verein Teil des Vorstandes und u.a. in den Teams, die sich ums Booking, Sponsoring, Technik, Fördermittel oder auch den Projektkurs an unserem lokalen Gymnasium kümmern.
Das Immergut Festival ist ja bekanntlich der Saisonauftakt für den Festivalsommer – Euch trifft es quasi als die Ersten und Ihr habt nun die Terminverschiebung von Mai auf September bekannt gegeben. Wann und wie ist diese Entscheidung gefallen?
Eben weil wir alles dafür tun wollen, dass es ein Immergut Festival in diesem Jahr gibt, haben wir schon sehr früh (am 14. März) gemeinsam über Konsequenzen der COVID-19-Pandemie und dessen sich schon angedeuteten starken Einschränkungen gesprochen. Wir waren uns sehr schnell sicher, dass, wenn wir das Festival in 2020 irgendwie durchführen wollen, wir es möglichst weit in den Spätsommer schieben müssen. Eine komplette Absage war auch eine Option, aber sie wurde schnell verworfen, da wir es als sehr wichtig einschätzen, das Festival durchzuführen: für die Region, für die Musiker*innen, für unsere Gäste und natürlich auch für uns, denn dafür arbeiten wir eben das gesamte Jahr ehrenamtlich.
Was bedeutet diese Entscheidung jetzt für Euch? Wie geht Ihr beispielsweise mit Künstler*innen oder Dienstleister*innen um?
Wir haben mit allen Dienstleister*innen, Künstler*innen, den Behörden und auch eben unserem Team besprochen, welche Termine im Sommer noch möglich wären. Schnell wurden zwei Wochenenden als Favoriten klar und dann ging es in die Feinplanung, wobei sich eben der 3.-5. September als optimaler Termin anbot. Dort können alle für uns essentiellen Dienstleister*innen, wie Technik-Firmen, Sanitärdienste, Food-Stände, Infrastrukturanbieter*innen, aber eben auch Künstler*innen dabei sein. Dass wir nicht alle Künstler*innen vom Mai in den September mitnehmen konnten, war uns schon fast klar, was natürlich auch großen internationalen Touren zugrunde liegt, wie z.B. bei Künstler*innen, die aus Australien kommen. Wir konnten recht schnell mit einem Großteil der Artists das neue Datum klären oder eben festlegen, dass wir sie in 2021 dann in Neustrelitz begrüßen dürfen.
Aktuell sind wir in den letzten Zügen, aber es sieht danach aus, dass mind. 75% der gebuchten Acts aus dem Mai im September mit dabei sein werden, was uns sehr freut!
Hier wollen wir natürlich auch allen Partner*innen für ihre schnelle und unkomplizierte Arbeit danken!
Außerdem seid Ihr ja kein großer Player, sondern ein Verein. Hat das Ganze denn aktuell schon finanzielle Folgen für Euch?
Finanziell zeigte es sich vor allem im Kartenverkauf, der im gesamten Monat März praktisch zum Erliegen kam. Das ist auch nur verständlich, da einfach bei allen Verunsicherung herrschte und immer noch herrscht und nicht klar ist, was in ein paar Wochen oder gar Monaten der Stand der Dinge sein wird. Seit dem wir aber die Verschiebung bekannt gegeben haben, werden auch wieder Festivalkarten verkauft, was uns natürlich sehr freut und wichtig für uns, für die Künstler*innen und so viele andere in der Kreativbranche ist, die ebenso von der Krise getroffen sind, auf hoffentlich bald eintretende Normalisierung setzen und aktuell einfach liquide Mittel benötigen, um die Zeit ohne Aufträge zu überstehen.
Welche weiteren Herausforderungen oder Probleme bringt das Alles mit sich?
Problematisch ist es, dass wir eben alles nochmals planen mussten und alle schon vorher getroffenen Absprachen nochmals durchgehen müssen. Das alles mit der Unsicherheit im Hinterkopf, dass es eben im September doch nicht stattfinden kann. Das wäre natürlich der Worst Case, aber auch auf den bereiten wir uns vor und planen unser Handeln dann schon so, dass wir schnell und unkompliziert z.B. den Karteninhaber*innen eine Gutschrift oder einen Gutschein fürs Festival in 2021 übergeben können.
Seht Ihr auch Chancen oder neue Möglichkeiten dieser Krise?
Den Vorteil, den wir aus der Krise ziehen können ist, dass wir uns noch mehr als schon zuvor darin üben können, standortunabhängig und digital zu arbeiten und uns innerhalb des Teams zu vernetzen. Außerdem haben wir nun durch noch längere Vorbereitungszeit auch die Möglichkeit unsere Vorgehensweisen zu hinterfragen und während der Vorbereitung des Festival zu optimieren. Solche Dinge bleiben oft links liegen, weil wir zu fokussiert darauf sind, das Festival zu planen und kaum Zeit haben über mögliche Verbesserungen nachzudenken – eben auch, weil wir das alle ehrenamtlich neben unserem eigentlich Job/Studium tun.
Könnt Ihr aktuelle Hilfsprogramme nutzen?
Wir haben uns schon um Hilfsprogramme bemüht und Anträge gestellt bzw. vorbereitet. Jedoch planen wir ja eigentlich noch genauso weiter, wie zuvor auch – nur eben jetzt mit einem Festival Anfang September. Sollte der Fall eintreten, dass das Festival nicht stattfindet, werden wir erst viel später Anträge auf Hilfe stellen können (weil eine mögliche behördliche Absage dann viel später kommt) und müssen hoffen, dass Anträge dann noch möglich sind und der Zeitraum nicht schon abgelaufen ist oder die Fördermittel gar schon ausgeschöpft wurden.
Ein Blick in die Zukunft: Denkst Du, dass sich die Branche, von Veranstalter*innen bis hin zu den Gästen, verändern wird?
Ich glaube, vielen wird in einem Sommer mit wenigen Festivals klar werden, wie wichtig doch eben diese sind.
Hierbei geht es nicht nur um das bloße Konzerterlebnis, sondern auch um die Freiheit, um das Draußensein und die gemeinsame Zeit mit Freund*innen und Gleichgesinnten.
Damit einhergehend denke ich, dass die Wertschätzung der Gäste, der Künstler*innen und vor allem der Politik gegenüber Festivalmacher*innen sich erhöht und eben daraus positive Effekte für die nachfolgenden Sommer gezogen werden können.
Was wäre das Schönste, das jetzt passieren könnte?
Das Schönste wäre für mich ein baldiges Abklingen der Pandemie und eine schnelle Findung eines nebenwirkungsfreien Impfstoffes, der für alle Menschen auf der Welt leicht herzustellen und zu verabreichen ist. So können wir unser Leben wieder leben, wie es vor der Pandemie war, aber gleichzeitig die Frage stellen, ob das aktuelle System, in dem wir leben, das richtige ist, um eben solche Krisen zu überstehen oder ob es nicht sinnvoll wäre, sozialer miteinander umzugehen und das Allgemeinwohl über alle Dinge zu stellen.
Und natürlich wäre das Schönste, wenn ich meine Oma bald wiedersehen kann.