Im Backstage herrscht ein aufregendes Gewusel, als wir Alexander Dettke, Mitbegründer des Wilde Möhre Festivals, treffen. Das zweite Festival Wochenende in diesem Jahr hat gerade begonnen, die Stimmung ist ausgelassen.
text & interview Dominik Schabel
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Wilde Möhre - Danilo Rößger
lesezeit 4 Minuten
Alex erzählt uns im Gespräch über die Idee hinter dem Festival, Coronakonzpte, das Projekt "Wilde Zukunft" und gibt Einblicke in die Arbeit während der Pandemie.
Der erste Teil des Interviews beschäftigt sich mit dem Festival an sich. Wenn ihr mehr über die "Wilde Zukunft" und das Veranstalten in Corona-Zeiten erfahren wollt, kommt ihr hier zu Teil 2.
Seit Beginn von Corona verfolgt ihr das Konzept an mehreren Wochenende verschiedene Editionen des Festivals zu feiern - Klimperkiste, Seelenschaukel und Maskenball. Was sind eure Erfahrungen mit dieser Herangehensweise?
Alexander: Die Kosten steigen, die Wenigsten haben die Möglichkeit, faire Gehälter zu zahlen, deswegen versucht jedes Festival eigentlich zu wachsen. Ich glaube die wenigsten wollen aber das Wachstum, weil die Masse an Menschen eigentlich Verlust von Charme und vor allen Dingen Überlastung der Infrastruktur bedeutet.
Wir wollen alle das Erlebnis und das hast du viel eher, wenn du weniger Besuchende hast und dann Programmpunkte anbieten kannst, die für kleinere Gruppen geeignet sind.
Die ganzen Workshops, die ja mitunter sehr intim sind, vertragen nicht mehr als 30 Menschen oder auch 50, aber nicht 150. Deswegen ist das viel, viel schöner und angenehmer für Gäste, kleine Editionen anzubieten.
Ich glaube, dass es uns in 10 Jahren auch gut und gerne noch geben kann, weil das Festival inhaltlich eine hohe Qualität mit sich bringt und weil es nicht das nächste 20.000er Festival ist. Ich sehe keinen Nachteil darin kleinere Festivals zu machen.
Wie seid ihr zu den drei Schwerpunkten (Musik, Körper & Geist, Theater & Performance) gekommen?
Gute Frage. Am Ende muss man sich die Frage stellen, was davon bleibt, wenn du auf einer Party warst. Ganz früher hieß es bei uns mal “hören, fühlen, sehen” und die Idee ist, dass wir etwas hedonistisches machen, das aber auch einen Mehrwert hat. Also im Idealfall gehst du nach Hause und denkst: Warum ist mein Leben nicht immer so?
Ich habe schon öfter gelesen, dass es bei euch darum geht, “den Stein ins rollen bringen." Was ist damit genau gemeint?
Ich glaube, viele Menschen haben im Leben einen Punkt, der ein Startpunkt ist, an dem sie anfangen nachzudenken, zu reflektieren. Das kann ein Buch sein, es kann ein Gespräch sein oder eine Lebenserfahrung. „Den Stein ins Rollen bringen“ heißt nichts anderes als einen Impuls zu setzen in eine Richtung, also ein Thema zu öffnen.
Das Schöne hier ist: Du bist plötzlich an einem Ort und wir können dir hier Sachen anbieten, denen du sonst nicht begegnen würdest. So ist auch das Gelände gebaut. Du hast Wege, bei denen du nicht genau weißt, wo sie hinführen und plötzlich bist du an einem Ort und da passiert irgendetwas; kann sein, dass das eine Performance ist und es geht um ein Thema X. Dann bist du da drin und plötzlich wirst du mit einer Thematik konfrontiert, an die du vorher nicht gedacht hast.
Man merkt, ihr macht euch viele Gedanken über den Raum, den ihr für eure Besuchenden öffnet. Inwieweit finden Natur und Umweltschutz auf eurem Festival Platz?
Ein Festival ist eine Umweltschande an sich. Du baust Infrastruktur für eine Kleinstadt im Nichts. Und das kann es halt nicht sein:
Wir können uns nicht unserem Leben frönen und eine Party feiern und gleichzeitig unsere Planeten vernichten.
Wir haben deshalb ausgerechnet, dass wir eigentlich 4.000 Tonnen CO2 produzieren würden. Durch Maßnahmen, wie zum Beispiel kompostierbare oder Mehrweg-Becher oder nur noch vegetarisches/veganes Essen, konnten wir den Ausstoß auf 600 Tonnen reduzieren. Die bleiben übrig und jetzt ist die Frage, was damit passiert? Aus unserer Sicht müssen die kompensiert werden. Dafür zahlen alle Gäste eine Gebühr beim Ticketkauf, weil wir auch sie an diesem Prozess teilhaben lassen wollen.
Long story short, das restliche CO2 wird über drei Projekte kompensiert. Da haben wir einmal ein Recycling-Projekt, dann einen Brunnen für Frischwasser in Uganda, bei dem wir einen Generator durch einen Photovoltaik-Anlage ersetzen und dann renaturieren wir ein Moor hier in Deutschland.
Zukünftig wollen wir außerdem nur noch mit Dienstleistenden arbeiten, die ihr CO2 kompensieren oder uns eine Investition nachweisen, die dazu beiträgt, dass sie ihren CO2 Fußabdruck verringern.
Mittlerweile sind wir kein kleines Unternehmen mehr. Wir haben hier auch Einfluss und den wollen wir auch wahrnehmen.
Klingt so, als hättet ihr euch viele Gedanken gemacht, wie man durch ein Festival einen positiven oder weniger negativen Einfluss auf die Umwelt haben könnte. Was davon möchtet ihr denn an eure Besucher*innen oder die Gesellschaft weitergeben?
Für mich ist die Gesellschaft wie ein zähes Gummi oder eine zähe Masse an der man ziehen kann und die sich ein Stück mit bewegen, aber sich nur sehr langsam bewegen. Unsere Aufgabe ist, Positives und Lebensfreude in die Welt zu bringen, für tiefsinnige Gespräche und tolle Eindrücke zu sorgen, auf Themen aufmerksam zu machen, wie eben alternative Ernährungsmodelle oder klimafreundliches Handeln. All die Sachen haben aus meiner Sicht eine unheimlich positive Wirkung auf die Menschen, die teilnehmen und die sind ein Teil dieser zähen Masse und bewegen sie dann in diese Richtung.
Das geht sogar so weit, dass man jetzt als Festival – manche würden ja sagen "Hippie Festival" - ein 19 Millionen Projekt genehmigt bekommt und die Ministerin des Landes Brandenburgs sagt: „Das ist gut, davon wollen wir mehr haben und die sollen mal mehr machen!“