text & fotos Danilo Rößger
redaktion Isabel Roudsarabi
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Seit 2007 lockt das MS Dockville mit Indie-, Elektro- und Rapacts bis zu 22.000 Besucher*innen in den Süden Hamburgs. Die malerische Lage am Hamburger Hafen, die liebevolle Gestaltung des Geländes und das geschmackssichere Booking sorgten dafür, dass sich das Festival im Laufe der Zeit zu einer Konstante in der norddeutschen Festivallandschaft entwickelte.
In diesem Jahr ist allerdings alles anders: Die Natur hat sich das Gelände zurückerobert, auf dem das MS Dockville und zahlreiche weitere Open Airs im Rahmen des MS Artville geplant waren. Dichte Brombeerhecken, wuchernder Efeu und allerlei Gestrüpp macht das Areal fast unpassierbar, die Tanzflächen erkennt man kaum wieder.
Arne Empen ist einer der Kreativköpfe hinter dem MS Dockville. Wir haben mit ihm über den Status Quo des Festivals gesprochen und erfahren, mit welchen Maßnahmen sich das Team für die Saison 2021 rüstet.
Hallo Arne! Was ist deine konkrete Aufgabe auf dem Festival?
Ich arbeite seit mittlerweile sechs Jahren in verschiedenen Positionen für das MS Dockville und andere Veranstaltungen, die auf dem Gelände stattfinden. Zunächst war ich Praktikant in der Kommunikationsabteilung, dann Werkstudent, bis ich dann über das Artist Care ins Booking gerutscht bin. Mittlerweile bin ich mit der strategischen und inhaltlichen Konzeption der Formate beschäftigt.
Ab wann wurde euch klar, dass es in diesem Sommer kein Festival geben wird?
Das war Mitte März, wenige Tage vor der Kontaktsperre. Wir haben trotz einer Veröffentlichungswelle kein einziges Ticket mehr verkauft. Im Laufe des Monats haben wir dann festgestellt, dass es ein scheiß Jahr wird. Obwohl intern beinahe alles fertig geplant war, mussten wir kurz darauf alle Veranstaltungen absagen. Das ist natürlich hart für einen eher kleinen Betrieb wie unseren.
Die Fläche blieb diesen Sommer also erst einmal unbespielt?
Unsere eigenen Veranstaltungen konnten nicht wie geplant stattfinden. In den letzten Wochen und auch aktuell haben wir aber eine Kooperation mit dem PAL, die auf einem Teil unseres Geländes veranstalten. Wenn wir diesen Sommer regulär geöffnet hätten, hätten wir höhere Ausgaben und weniger Einnahmen, weil weniger Leute auf das Gelände dürfen als sonst. Zudem wäre es ein riesiger Aufwand das Gelände, mit einer kompletten Infrastruktur – also Wasser, Strom, Toiletten, Essen, Mülltonnen und so weiter – zur Verfügung zu stellen. Das können wir uns nicht leisten, wenn es kein MS Dockville gibt, das Gewinne produziert, die dann in solche Maßnahmen einfließen.
Wie sahen denn eure Ticketverkäufe in den letzten Jahren aus?
Es gab zwar Jahre, wo es Tagestickets gab, oder wo mal 2.000 Besucher fehlten, aber wir sind eigentlich immer ausverkauft. Oder fast ausverkauft. Für dieses Jahr hatten wir bereits einen guten Teil der Tickets verkauft, die bleiben ja für 2021 gültig. Die Rücktauschquote lag bei uns auch bloß bei 3-5%. Das ist sehr gut, weil die durchschnittliche Rücktauschquote bei etwa 15-20% liegt.
Hilft die treue Fangemeinde also, euch über Wasser zu halten?
Ja. Trotzdem: Es ist für uns zweifelsohne finanziell schwierig, aber da wir jetzt einige gute Jahre hatten, konnten wir dies Jahr irgendwie überstehen. Letztes Jahr mit Billie Eilish lief das MS Dockville einfach sehr gut. Wir haben zudem auch ein Netzwerk an Partner*innen, zu denen auch die Behörde für Kultur und Medien zählt. Im Rahmen des MS Artville passiert auch viel ehrenamtliche Arbeit, die auf das MS Dockville einzahlt. Hauptsächlich finanzieren wir uns aber durch die Eintrittskarten; teilweise noch durch Sponsoring, so dezent es uns möglich ist, weil wir z. B. auf gesponserte Bühnenbanner und ähnlich derbe Maßnahmen verzichten. Wir können also sagen, dass wir den Ausfall 2020 verkraftet haben, aber wenn nächstes Jahr auch nichts stattfinden kann, sieht das anders aus.
Wir schauen aber möglichst optimistisch auf das kommende Jahr und planen alle Veranstaltungen, wie wir sie dieses Jahr geplant hätten.
Wie nimmst du aktuell die Stimmung in der Festivallandschaft allgemein wahr?
Es gibt durchaus Gespräche und Austausch. Ich würde nicht soweit gehen, davon zu reden, dass wir uns alle gegenseitig unter die Arme greifen, allerdings beobachte ich auch keinen stärkeren Konkurrenzdruck als sonst. Es ist klar, dass viele kleine Festivals nicht so gut gegen die Situation ankommen können wie die großen Player, das Appletree Garden ist da zum Beispiel anders zu sehen als ein Hurricane. Junge Festivals wie das Moyn Moyn, die sind akut bedroht, da gab es Crowdfunding-Projekte und Aufrufe, um die Existenz zu sichern. Festivals, die von großen Konzernen getragen werden, veröffentlichten hingegen schon früh ihre Line-ups für 2021 und kommunizieren „einfach“ weiter. In der Booking- und Management-Szene fand ich die Stimmung indes sehr kooperativ, das hat mich total positiv überrascht.
Mit welchen Mitteln versucht ihr, über die Durststrecke zu kommen?
Neben der Rücktauschmöglichkeit haben wir T-Shirts und Solidaritätsbändchen verkauft. Wir haben keine Crowdfunding-Kampagne gemacht und stattdessen auf Menschen hingewiesen, die stärker von der Krise betroffen sind, zum Beispiel Obdachlosenhilfen. Ich würde nicht ausschließen, dass wir auch irgendwann mal eine Crowdfunding-Kampagne starten müssen, aber wir wollten das in diesem Jahr nicht sofort machen, wenn es noch andere gibt, die viel mehr zu kämpfen haben, als die Festivals.
Klar, die derzeitige Situation ist wirklich hart für Veranstaltende – aber ich finde, in der Krise sollten wir alle einen möglichst ganzheitlichen Blick behalten.
Was unsere Formate betrifft – wir haben erste Acts für 2021 ja schon veröffentlicht und verkaufen auch Tickets für den nächsten Sommer. Wir hoffen, durch diese Einnahmen unseren Betrieb aufrecht erhalten zu können.
Konntet ihr programmatisch auf Alternativen ausweichen?
Wir haben dieses Jahr relativ viele neue Projekte recht schnell geplant: Der Weg in das Digitale, eine temporären Open Air-Kunstpark am Gelände, ein Hörspiel, einen Kurzfilm – alles das ist unter dem Namen des MS Artville passiert. Es war für mich sehr spannend, an diesen neuen Projekten zu arbeiten, die auch auf der Homepage des MS Artville größtenteils noch verfügbar sind. Das haben wir gemacht, um im Gespräch zu bleiben, sowohl für Besucher*innen als auch für Künstler*innen. Wir sind ja auch Arbeitgeber für Kulturschaffende - diese Aufgabe haben wir diesen Sommer so gut es uns möglich war erfüllt.
Das klingt nach einer guten Chance, die ihr da ergreifen konntet.
Ja, für einige Selbstständige durchaus, aber eher für wenige für uns. Fast die komplette Firma ist viele Monate auf Kurzarbeit gewesen. Jetzt, im Oktober beenden wir diesen Notfallbetrieb und fangen langsam wieder an.
Wie soll es dann nächstes Jahr weitergehen?
Wir haben uns jetzt schon damit auseinandergesetzt, uns angepasste Veranstaltungskonzepte für das nächste Jahr auszudenken. Aber es ist extrem schwierig. Die derzeitigen Veranstaltungen mit dem PAL sind da natürlich auch erste Erfahrungen, die wir sammeln. Wir hoffen auch, dass die aktuellen Förderprogramme der Bundesministerin für Kultur und Medien nicht an uns vorüber gehen. Wir loten unsere Möglichkeiten aus und geben unser Bestes.
Wie ist deine Einschätzung für das nächste Jahr – sowohl für das MS Dockville als auch für die Festivallandschaft im Allgemeinen?
Es wird hoffentlich grob so weitergehen, wie vor der Krise. Sicher ist, dass es Auflagen geben wird, die den Aufwand erhöhen. Im besten Fall wird das Festival die gleiche Größe und programmatische Ausrichtung haben – aber die ganze Organisation, im Sinne der Besucherführung, im Sinne des Einlasses, an den Bars, Essensständen, Toiletten etc. wird angepasst werden müssen. Ich denke da beispielsweise auch an Listen für die Nachverfolgung, um die Gesundheitsbehörde zu informieren, falls es zu einer Ansteckung kommt. Es gibt aktuell aber noch keine Planung der Behörden fürs nächste Jahr, das ist nur eine Einschätzung von uns. Wir werden uns deshalb in der Produktion mit vielen neuen Konzepten auseinandersetzen müssen. Und wir hoffen, dass die Politik frühzeitig einen Rahmen vorgibt, in dem wir dann auch planen können.
Seht ihr euch auch langfristig noch im Süden Hamburgs?
Ja! Wir haben von der Hamburg Port Authority und dem Bezirk Mitte, denen das Gelände gehört, eine Zusage der Nutzung des Geländes bis 2024 – das gibt uns schon etwas Planungssicherheit. Wir hoffen, dass sich die Sicherheit noch bis 2030 verlängert. Bleibt nur noch zu hoffen, dass die Covid 19-Situation uns hier für 2021 keinen Strich durch die Rechnung macht..